Bewerben 4.0 erscheint Januar 2018 – Hier der „Teaser“ aus Kapitel 1: „Verstehe die Welt“

Ausgeschriebene Stellen

Zunächst ist die absolute Zahl der Stellenwechsel gigantisch. Das Statistische Bundesamt ermittelte, dass 13 Prozent der circa 40 Millionen Erwerbstätigen in den letzten zwölf Monaten neu eingestellt wurden. So wechseln 400 000 bis 600 000 Personen monatlich den Job.
Wer glaubt, dass es sich hier um ein durchschaubares System handelt, wird enttäuscht. Ein Bewerber, der zwei- oder dreimal im Leben eine neue Arbeit sucht, geht von der Annahme aus, dass freie Positionen ausgeschrieben werden. Das ist bereits der erste Irrtum, denn nur 35 Prozent aller Vakanzen sind sichtbar. Wer sich dann auf eine dieser ausgeschriebenen Stellen bewirbt, wird bald erneut enttäuscht. Svenja Gossing, Outplacement-Beraterin bei von Rundstedt, meint im Interview auf dem Blog Karrieregestalter, dass heute im Durchschnitt 300 Bewerbungen auf eine veröffentlichte Stelle kommen. Die Karriere-Beraterin Svenja Hofert geht auf ihrem Blog von noch wesentlich höheren Zahlen aus. Allein schon die statistische Wahrscheinlichkeit, für eine Position berücksichtigt zu werden, ist äußerst gering. Es kommen aber noch weitere Widrigkeiten hinzu. Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) müssen Stellen zwar geschlechtsunabhängig (m/w) ausgeschrieben werden, in vielen Fällen wird im Vorfeld aber bereits festgelegt, ob ein Mann oder eine Frau besser passt. Das Gleiche gilt für das Alter oder auch den Kulturkreis des Bewerbers. Wir geben uns häufig der Illusion hin, dass die Qualifikation ausschlaggebend für die Stellenbesetzung wäre. Das mag der Fall sein. Nur liegt die Beurteilung der Qualifikation eben beim Entscheider. Manches Unternehmen sucht weiche Faktoren wie Entscheidungsfreude, Durchsetzungsfähigkeit oder Überzeugungskraft. Andere schauen nach Abschlussnoten oder sind von Stellenbezeichnungen fasziniert, die der Kandidat innehatte. Wieder andere wollen Ergebnisse, Erfolge und Leistungen sehen. Manche Kandidaten überzeugen mit dem bisher erzielten Gehalt. Und circa 50 Prozent der Bewerber wird aufgrund von nicht messbarer Sympathie eingestellt. Folglich kann die Bewerbung auf ausgeschriebene Stellen durchaus als Lottospiel bezeichnet werden.
Die US-amerikanische Soziologin Lauren Rivera erklärt in einem Interview mit der WirtschaftsWoche, welche Faktoren über den beruflichen Aufstieg entscheiden. Überschrift: Erfolg hat, wen der Personaler mag. Auch der Personalmanagement-Experte Prof. Dr. Armin Trost stellte fest, dass eine Einladung zum Interview kaum steuerbar ist. Er schickte vor einigen Jahren zwei fiktive Top-Bewerber in den Bewerbungsmarathon. Jeder Personalleiter hätte sich eigentlich die Finger nach den Kandidaten lecken sollen. Sie erhielten jedoch auf 100 Bewerbungen nur vier Einladungen zu einem Vorstellungsgespräch. – Immerhin! Da gibt es andere, die nach 100 erfolglosen Bewerbungen die Flinte ins Korn werfen. Oder sie werden aus Wut kreativ wie der 57-jährige Bayer Thomas Rohrmann, der, wie in den Medien berichtet wurde, mit einer Wanderung vom Nordkap nach Sizilien Arbeitgeber von seiner Leistungsfähigkeit überzeugen wollte – was auch geklappt hat.

Jobportale

Die Suche nach einem Job an sich war vor wenigen Jahren noch einfacher. Es gab die lokalen und die überregionalen Zeitungen. Fach- und Führungskräfte schauten sich am Wochenende die Beilage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung an, die in den Monaten Februar und September 80 Seiten betrug. Wer regional verbunden war, suchte in der Stuttgarter Zeitung, der Berliner Morgenpost oder auch im Hamburger Abendblatt.
Heute gibt es über 2000 Internet-Jobportale in Deutschland. Manche sind als Generalisten aufgestellt. Andere haben eine Fokussierung auf beispielsweise Juristen,Mediziner oder Ingenieure. Wieder andere stellen den lokalen Bezug in den Vordergrund. Viele Karriereportale bieten dazu die Möglichkeit an, den Lebenslauf zu hinterlegen. Monster verweist in diesem Zusammenhang zum Beispiel auf 435 000 hochgeladene Profile. Arbeitgeber, die 7400 Euro jährlich entrichten, können versuchen, mit diesem breiten Angebot ihren Personalbedarf zu decken. Kandidaten, die den Weg über Jobbörsen gehen wollen, müssen sich fragen, in welchen der 2000 sie sich eintragen möchten. Da Unterlagen nur begrenzt mit Copy-and-paste übertragen werden können, muss ausreichend Zeit für die Hinterlegung des Profils eingeplant werden.

Headhunter

Dann vielleicht lieber die Kontaktaufnahme zu einem Personalvermittler? Die Idee ist erst mal einleuchtend. Von der einmaligen Aktion erhofft man sich eine Multiplikation der Ergebnisse. Der Bewerber sendet seine Unterlagen an einen Headhunter. Dieser sucht so lange – so die Hoffnung –, bis die Bewerbung irgendwo passt. Diese Rechnung wird aber ohne den Wirt gemacht. Zunächst reagieren Personalberater recht allergisch, wenn ein Bewerber meint, sie „beauftragen“ zu können. Diese Executive Search Consultants nehmen lediglich Aufträge von Unternehmen an.
Darüber hinaus kommt auch hier keiner ohne Recherchen aus. Die Zahl der „echten Headhunter“ in Deutschland, die über die Direktansprache Mandantenaufträge erfüllen möchten, wird bereits auf circa 6000 geschätzt. Sie unterscheiden sich im Branchenfokus, in der regionalen Verwurzelung und in den Positionen, die sie besetzen. Darüber hinaus nehmen manche nur Suchaufträge ab einer bestimmten Gehaltsebene an.
Wenn die Zahl der Personalvermittler hinzugenommen wird, die auch mit Hilfe von Anzeigen offene Positionen besetzen, steigt die Anzahl der Unternehmen, die in diesem Segment tätig sind, um das Zehnfache. Der Bewerber sieht sich nun 60 000 potenziellen Anlaufstellen gegenüber. Das ist frustrierend – denn keiner hat vor, sich auf dieses Gebiet fachlich zu spezialisieren! Die Fachkompetenz der Bewerber liegt schließlich meist in ganz anderen Bereichen. Der Banker, der einen Rettungsschirm für faule Kredite konzipiert hat, möchte nun nicht auch noch Spezialist für die Auswahl des passenden Personalvermittlers werden.
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