Leseprobe aus Kapitel 8: Vertrauen: Baue ein Beziehungsnetzwerk auf

Interesse zeigen und zuhören

Die meisten Menschen reden lieber, als dass sie zuhören. Somit ist Zuhörbereitschaft eine eher seltene Eigenschaft. Zuhören ist – wie wir wissen – mehr als nicht reden. Es ist einfacher, zwei Monologe zu führen, als richtig zuzuhören:

Person A: Ich war im Urlaub in Málaga.

Person B: Da war ich auch.

Person A: Wir hatten sehr heißes Wetter.

Person B: Als wir da waren, hat es geregnet.

Person A: Wir sind im Hinterland auf Eseln geritten.

Person B: Wir sind nach Marokko rübergefahren.

Diese Personen A und B sind nur daran interessiert, ihre eigene Geschichte kundzutun. Keiner kommt auf die Idee, bei dem anderen mal genauer nachzufragen oder das Gespräch zu vertiefen. Statt vom Regenwetter zu berichten, hätte die Frage lauten können: „In welchem Monat wart ihr da?“ Oder Person B hätte sich erkundigen können, wo genau Person A den Esel-Ausflug gemacht hatte, ob Vorkenntnisse erforderlich waren, wie viel es gekostet hat, ob das Reiten mit Risiken verbunden war und so weiter.

Wenn wir jemandem gegenübersitzen, der echtes Interesse zeigt, fällt das positiv auf. Jemand, der sich die Mühe macht, sich in unsere Lage zu versetzen. Seine empathischen Fragen ergeben sich aus dem Gesprächsverlauf und wir spüren seine Identifikation mit uns. Wir sind fast immer bereit – wenn wir die Bereitschaft des anderen spüren zuzuhören –, uns zu öffnen und auch mehr von uns selbst zu erzählen. Keiner erzählt Details aus seinem Leben, wenn der Eindruck besteht, dass der andere sie sofort wieder vergisst. Wenn unser Gesprächspartner uns aber durch qualitativ hochwertige Fragen wirkliche Wertschätzung vermittelt, bricht etwas bei uns auf. Wir haben dann das Gefühl, dass wir verstanden werden, und geben unserem Gegenüber einen Vertrauensvorschuss. Manchmal sind wir anschließend verwundert und können uns nicht ganz erklären, warum wir so redselig waren. Dann nehmen wir eine Beobachterrolle ein und schauen ganz genau, was der andere mit den persönlichen Informationen macht, die wir ihm gegeben haben.

In vielen Fällen passiert gar nichts. Das ist in Ordnung. In seltenen Fällen wird unsere Offenheit – gefühlt oder tatsächlich – missbraucht. Dann sind wir enttäuscht, vielleicht sogar verbittert, und nehmen uns vor, das nächste Mal zu schweigen

Vielleicht möchte der andere das Gespräch bei der nächsten passenden Gelegenheit behutsam fortsetzen. So kann Vertrauen entstehen. Meistens sind wir bereit, unsere verletzliche Seite zu zeigen, solange es uns nicht beschämt. Vertrauensaufbau ist nicht zwingend von der Anzahl der Kontakte abhängig, sondern eher von der Qualität der Begegnungen und dem Verhalten des anderen. In besonderen Fällen überrascht er uns mit unerwarteten Hilfestellungen, Informationen und Nachfragen. Wir erzählten beispielsweise, dass unser Sohn überlegt, Wirtschaftsingenieurwesen in Aachen zu studieren oder Nanotechnologie in Duisburg. Später erhalten wir von unserem Gesprächspartner einen Artikel über die Zukunftschancen der Nanotechnologie. Oder wir erzählen, dass unser älterer Bruder ein „Work and Travel“-Jahr in Australien verbringen möchte, und unser Gesprächspartner sendet uns die Adresse der Organisation, mit der sein Sohn das Jahr geplant und gute Erfahrungen gesammelt hat. Über Vertrauen werden hier gar Empfehlungen ausgesprochen, die eine besondere Glaubwürdigkeit besitzen.

Hilfsbereitschaft

2011 veranstaltete ich mit Kollegen zusammen ein Führungstraining für eine große Hamburger Krankenhausgruppe. Zu diesem Training gehörten auch Coaching-Gespräche, die an einem anderen Ort in einem weiteren Gebäudekomplex stattfanden. Als ich hier das erste Mal eintraf, meldete ich mich bei Frank, Leiter des Empfangs, der selbst Pförtnerdienste wahrnahm und für circa 10 Mitarbeiter verantwortlich war.

Ich nannte mein Anliegen und wies darauf hin, dass ich zum ersten Mal da war. Da ich vor Ort übernachtet, aber noch nicht gefrühstückt hatte, schlug Frank vor, dass ich zunächst zur Kantine gehen sollte. Er bot mir an, mein Gepäck bei ihm zu lassen. Er würde sich in der Zwischenzeit erkundigen, in welchem Raum das Coaching stattfand, und mir dann den Schlüssel übergeben und erläutern, wie ich den Raum finde. Seine Aussage weiß ich heute noch: „Ich kümmere mich um alles …“ Nun, das war ein Versprechen! Frank hat es eingelöst. Als ich nachher, satt, zu ihm zurückfand, hatte er einen Schlüssel in der Hand und meinte, ich solle immer der blauen Linie folgen, dann in den Aufzug steigen und bis zum dritten Stock fahren. Am Ende des Gangs würde ich den Raum finden.

Die nächsten Male wurde ich immer mit meinem Namen angesprochen. Die Hilfsbereitschaft ließ nicht nach, sie hat sich im Gegenteil noch auf andere Bereiche ausgeweitet. Irgendwann war Frank selbst im Führungstraining. In den Coaching-Gesprächen erfuhr ich, wie individuell er sein Leben gestaltete. In der Freizeit betätigte er sich als Imker. Ich schenke ihm von nun an zum Geburtstag jeweils ein entsprechendes Buch oder ein Video. Er bedachte mich mehrmals mit einem leckeren Töpfchen Honig, der sogar ausgezeichnet worden war.

Die Begegnungen mit Frank waren nicht sehr häufig und – abgesehen von den persönlichen Coaching-Gesprächen – auch nicht sehr zeitintensiv. Aber jeder Kontakt hat uns gegenseitig in unserem Vertrauen zueinander bestärkt. Unser Beziehungstank füllte sich. Frank hat in mich investiert und es wäre mir jederzeit eine Freude, ihn in irgendeinem Anliegen unterstützen zu können.

Für mich befindet sich der beste Schuster Deutschlands in Emmerich. Ludger hat eine Leidenschaft für Schuhe, eine Expertise, was das Arbeiten mit Leder angeht, eine Meisterschaft, wenn es um die Reparatur geht. Dazu möchte er, dass es seinen Kunden nach einem Besuch bei ihm persönlich besser geht. Er sucht das Positive in jeder Situation und begegnet seinen Klienten mit Freundlichkeit, Zuhör- und Hilfsbereitschaft. Als er von einer bedrohlichen Krankheit heimgesucht wurde, hat sich sein Wunsch, jeden Tag zu einem Erlebnis für sich und andere zu machen, noch verstärkt. Ludger ist kreativ und mutig. Als ich mit einem kaputten, aber sehr hochwertigen Aktenkoffer, den ich geerbt hatte, zu ihm kam, hat er nicht gezögert, die Reparatur zu wagen. Als ich aus Italien einen schönen, aber zu langen Gürtel mitbrachte, war kein anderer Schuster bereit, den Gürtel zu kürzen. Er ist schließlich nicht bei ihm gekauft worden – und was würde passieren, wenn ich mit der Änderung nicht zufrieden wäre? Für Ludger war das alles kein Problem. Ich sollte den Gürtel bei der Abholung doch sicherheitshalber noch mal anprobieren (ich weiß nicht, was er gemacht hätte, wenn der Gürtel nun zu kurz gewesen wäre …), denn er wollte sicher sein, dass ich zufrieden war. Natürlich gönne ich Ludger das Geschäft. Ich sammele förmlich Schuhe und freue mich, wenn neue Sohlen oder Absätze fällig sind, damit ich ihn „unterstützen“ kann.

@metropolitan.verlag

Auszug aus meinem neuen Buch „Bewerben 4.0“

www.metropolitan.de/buch/bewerben-4-0/

Kapitelübersicht:

1 Bewerben 4.0: Verstehe die Welt

2 Positionierung auf dem Arbeitsmarkt: Folge deiner Leidenschaft

3 Resilienz: Sorge für dich selbst

4 Konvergente Entwicklung: Konzentriere dich auf das Wesentliche

5 Divergente Entwicklung: Mach dich sichtbar

6 Von Traditionalisten bis Generation Z: Nutze deine Chance

7 Neue Beschäftigungsverhältnisse: Gestalte dein Leben

8 Vertrauen: Baue ein Beziehungsnetzwerk auf

9 Das Jobinterview: Zeige deine Persönlichkeit

10 Rückkehr der Tugenden: Perfektioniere den Umgang mit Menschen