„Herr Zeylmans, ich habe ein Luxus-Problem“. Diese Aussage habe ich die vergangenen beiden Wochen dreimal gehört. Umstände und Ausgangslage waren vergleichbar. In allen drei Fällen handelte es sich um Ingenieure (45, 50, 57). Alle drei hatten die Auswahl aus zwei Arbeitsverträgen.
Einmal wollten sie mit mir über die optimale Entscheidung sprechen. Da spielten unterschiedliche Aspekte eine Rolle. Recht hoch angesiedelt war die Reisezeit oder gar das Pendeln. Je mehr Zeit mit der Familie verbracht werden konnte, desto höher das Ranking. An zweiter Stelle stand der Job an sich, allerdings eingebettet im Umfeld. Was war die Tätigkeit? Aber auch: Wie war die Passung (Neu-Deutsch: das Matching) mit der vorgesetzten Stelle und der empfundenen Kultur? An dritter Stelle kamen das Gehalt, die Entwicklungschancen und auch der Blick von außen auf die Entwicklung: War die neue Position als Fortschritt zu werten – oder wäre die Entscheidung eines Tages (sollte nochmals eine Neu-Orientierung erfolgen) erklärungsbedürftig?
Umgang mit einem besseren Angebot
Zweitens fragten diese Coachees nach dem Umgang mit „einem besseren Angebot“? Es waren noch weitere Bewerbungen offen. Wie lange könnte man einen Arbeitgeber, der einem einen unterschriebenen Arbeitsvertrag zugesendet hatte „vertrösten“? Und, wie wäre es möglich, den Druck auf die noch offenen Kontakte zu erhöhen, ohne dass der Eindruck einer „Erpressung“ entstehen würde? In diesem Zusammenhang wollten meine Klienten auch wissen, wie ich es einschätzen würde, wenn sie während der Probezeit kündigen würden, wenn ein vermeintlich besseres Angebot noch eintreffen würde…
Den Ruf riskieren
Auch wenn die Fragen spannend sind, möchte ich hier nicht detailliert auf die Antworten eingehen. Das wäre einmal in einem eigenen Beitrag möglich. Dennoch ganz kurz: a.) Ein Arbeitgeber der einen Vertrag sendet, erwartet eine Rückmeldung innerhalb weniger Tage (bei einer entsprechenden Funktion ist ein Verständnis vorhanden, dass der Kandidat den Vertrag nochmals von einem Rechtsanwalt prüfen lässt). Bei b.): Es ist möglich, offene Kontakte anzusprechen und sie auf den vorliegenden Arbeitsvertrag hinzuweisen. Am besten „Sie-Argumente“ verwenden: „Ich möchte nicht enttäuschen, wenn Sie sich eines Tages für mich entscheiden würden, und feststellen, dass ich bereits anderweitig zugesagt habe…“ Die dritte Frage bleibt knifflig: Wer „nur“ ein angefangenes Angestelltenverhältnis kündigt, da er/sie woanders etwas mehr verdient ist „käuflich“. Natürlich sind wir das alle, irgendwie. Dennoch ist das keine stabile Basis für den Neu-Anfang bei einem anderen Arbeitgeber der „abgeworben“ hat. Dem ist klar, dass wenn ein neues Unternehmen kommt, das erneut mehr Geld bietet, der Mitarbeiter wieder weiterzieht. Außerdem ist die Welt in vielen Branchen klein. Man begegnet sich zweimal oder mehrmals im Leben und vielfach ist der Ruf mitunter das kostbarste, das ein Bewerber anzubieten hat.
Vorteile des Alters
Alle drei Kandidaten waren überrascht – und ich auch – dass so viel Bewegung zu beobachten war, gerade im Monat Dezember und so kurz vor und um Weihnachten herum. Zweitens waren alle drei in positiver Weise verwundert, dass ihnen das Alter so wenig Schwierigkeiten bereitete. Alle waren auf eine längere Bewerbungsphase eingestellt, die sich dann denkbar kurz herausstellte.
Einer brachte aus seinen Gesprächen die Wahrnehmung hinein, dass Unternehmen in Corona-Zeit voraussetzen müssen, dass der Kandidat bald, selbständig anfangen kann. Einarbeiten ist schwieriger in Zeiten des Home-Office. Dieser Eindruck deckt sich mit der Tatsache, dass hoch-qualifizierte MBA-Studenten eines renommierten Business-Schools die ich betreue, es schwieriger haben als während der vergangenen Jahre, einen Job zu finden.
Verbündeter Demographie
In allem – und dieses verlieren wir immer aus dem Auge – ist die Demographie der stärkste Verbündeter in den Jahren 2020 und 2021. Über eine Million Babyboomer sind 2020 in Rente gegangen. Ca. 600.000 Neu-Zugänge der Generation Y & Z haben eine Erwerbstätigkeit aufgegriffen. Die Lücke ist vorhanden, Pandemie hin oder her. Manch Arbeitgeber hat diesen Tatbestand elegant dazu verwendet Arbeitsplätze ohne betriebsbedingte Kündigung abzubauen (z.B. Daimler). Andere sehen die Entwicklung mit Sorge und so war es das Ziel der Deutschen Bahn, im vergangenen Jahr 20.000 neue Mitarbeiter einzustellen und 2021 nochmals 18.000. Bei den Behörden sieht es ähnlich aus.
Mit einem vorsichtigen Optimismus ins Jahr 2021
So ist es möglich, mit einer gewissen Zuversicht auf das Jahr 2021 zu schauen. Der Fachkräftemangel hat nicht nachgelassen, auch wenn eine Reihe von Branchen (wir kennen sie mittlerweile: Einzelhandel, Gastronomie, Tourismus, Veranstaltungsmanagement & Co.) unter Druck geraten ist. Andere Segmente sind davon kaum betroffen (z.B. Telekommunikation, Versicherungen, Banken, Behörden). Und wie wir wissen, profitieren wieder andere Industrien von der Krise (Kommunikations-Software, Home-Office Ausstatter, Pharma, Gesundheitswesen, Medizintechnik & mehr). Und dahinter steht auch im Jahr 2021 die Tatsache, dass sich das Delta zwischen Erwerbstätigen die sich in den Ruhestand verabschieden werden und den Neu-Ankömmlingen die kommenden Jahre eher auf 700.000 vergrößern wird. Natürlich wird nicht jeder Arbeitsplatz neu besetzt. Die Digitalisierung wird den Bedarf teilweise abdecken. Und ja, gewisse Branchen standen im Ruf zu schrumpfen, wie die Automobilindustrie. Gleichzeitig steht nun fest, dass die Elektromobilität deutlich weniger Arbeitsplätze „kostet“ als angenommen. Und Unternehmen wie VW verabschieden sich möglicherweise von Ingenieuren aus dem Motorbaubereich um im gleichen Atemzug Stellen für 60.000 Software-Ingenieure auszuschreiben.
Der Arbeitsmarkt ist weiterhin durchaus in Bewegung. Wenn Sie sich etwas für 2021 vornehmen, dann hier eine kleine Inspiration: Bitte legen Sie sich nicht gedanklich fest: „ich bin zu alt“, „Ich weise die falschen Kompetenzen vor“ oder „Mit meiner Branche geht es nur bergab“. Wir sehen in Deutschland manchmal eher die Gefahren, die Risiken und die Schwierigkeiten. Die drei Telefonate aus den vergangenen zwei Wochen zeigen, dass ein realistischer Optimismus legitim ist.