Corona-Comeback: Werte statt Kompetenzen

Wir stehen erneut am Anfang eines Lockdowns. Zwar nicht derart umfassend wie im Frühling. Dafür ist diesmal „der Lack ab“. Das erste Mal waren wir Pioniere. Wir erlebten was andere vor 100 Jahren das letzte Mal mit der Spanischen Grippe in dieser Dimension erfuhren. Wir sprangen ins Luftleere. Der Zwang zur Gestaltung förderte unsere Kreativität.

Community

Plötzlich waren wir eine Community. Denn alle waren wir von den Auswirkungen betroffen. Das „Wir-Gefühl“ appellierte an unseren Stolz. „Ja, wir schaffen das!“ In der Tat machte sich rasch eine Aufbruchstimmung breit. Die Konsequenzen weniger schlimm als nach der Finanzkrise. Die Unternehmen stellten wieder ein. Sogar für das persönliche Glück, das wir zur Seite geschoben hatten, war Raum. Urlaub im eigenen Land war doch möglich. Das schöne Wetter massierte die Emotionen wohltuend. Die Politik zeigte sich vielfach verständnisvoll und spendabel.

Neuer Lebensstil

Corona zwang zu einem anderen Lebensstil, der gar nicht nur abwegig war.

Beim Aufräumen fiel mir die WirtschaftsWoche Nr. 52 aus 2015 in die Hand. Titel: Albtraum Geschäftsreise – Ständig unterwegs – Wie Sie mit dem Stress fertig werden! Das Schneller – Besser – und somit das bedingungslose Mehr war definitiv an Grenzen gestoßen. Mit EasyJet buchte ich Düsseldorf – Berlin und zurück für 44 Euro. Und fragte mich, wer daran noch verdient. Im ICE fuhr ich regelmäßig die Strecke Frankfurt – Düsseldorf in der 1. Klasse und war umgeben von Personen, die keinen Sitzplatz fanden. Der Planet drehte schneller, wurde wärmer & Mensch und Tier kamen immer weniger zu Ruhe. Wer nicht im Dezember den Sommerurlaub reservierte, hatte später das Nachschauen.

Vollbremsung

Hier war COVID-19 hilfreich. Vollbremsung ohne (erkannte) Ankündigung. Erzwungene Ruhepause. Wie der Herzinfarkt gefährdete Patient, der noch gerade rechtzeitig ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Ein neuer Lebensstil konnte den GAU noch abwenden. So ging es uns. Auch wir wurden zu Änderungen gezwungen. Wir eigneten uns einen neuen Lebensstil an:

  • Weniger reisen
  • Anders kommunizieren
  • Neue Art der Führung
  • Mehr Selbstdisziplin in sportlicher Betätigung
  • Anderes Zeitmanagement
  • Eine neue Balance von Zeit mit der Familie, in der Arbeit für die individuellen Bedürfnisse

Neue Kompetenzen

Wir eigneten uns neue Kompetenzen an: Workouts, digitale Kommunikation, die Beherrschung von bis dato unbekannten Softwareprogrammen. Die Home-Offices wurden aufgerüstet mit höheverstellbaren Tischen, zusätzlichen Bildschirmen, externe Video-Kameras sowie professionellen Mikrofonen und Sound-Anlagen. Nicht wenige waren stolz auf das Hineinwachsen in andere Bereiche.

Die Erde dankte es uns. Weniger Unfälle, eine verringerte (außer Cyber-) Kriminalität, geringerer CO-Ausstoß. Sogar Tiere fanden den Weg zurück an Orte die sie längst verlassen hatten.

Diesmal ist es anders

Diesmal fühlt es sich anders an. Denn die Situation der wir uns gegenübersehen, ist nicht länger neu. Sie demotiviert eher auf Grund der Wiederholung. Wir haben uns schon mal mit ihr befasst und unser Bestes gegeben. Was das nicht genug?

Da wir aber einen Umgang mit dem vor uns liegenden Zeitraum finden müssen, stellt sich die Frage nach unseren Entscheidungen. War das erste Mal die äußere Umstellung der Lebensführung mit der Aneignung neuer Fähigkeiten notwendig und durchaus motivierend, könnten diesmal unsere Werte eine Hilfestellung bieten. Ich mache mal einige Vorschläge:

  • Ich zitiere aus Alex Pattakos Buch „Gefangene unsere Gedanken“ über das Leben Viktor Frankls folgende Geschichte: An dem Tag, an dem Nelson Mandela aus dem Gefängnis auf Robben Island entlassen wurde, sah Bill Clinton, damals Gouverneur von Arkansas, die Nachrichten im Fernsehen. Als Mandela aus dem Gebäude trat, bemerkte Clinton, wie angesichts der gaffenden Menschen der Zorn über Mandelas Gesicht huschte und rasch wieder verschwand. Später trafen sich beide persönlich, inzwischen als Oberhaupt des jeweiligen Landes, und Clinton erzählte Mandela von seiner Beobachtung. Mandala antwortete: „Ja, das stimmt. Als ich im Gefängnis saß, hatte ein Sohn eines Wärters einen Bibelkurs angeboten, an dem ich teilnahm … Und an dem Tag, als ich das Gefängnis verließ und die Zuschauer sah, überschwemmte mich der Zorn bei dem Gedanken, dass sie mich um 27 Jahre meines Lebens gebracht hatten. Da sagte der Geist Jesu zu mir: Nelson, im Gefängnis warst du frei, mach dich nicht als freier Mann zu ihrem Gefangenen.“ Es ist eine spannende Herausforderung, Freiheit nicht äußerlich, sondern innerlich zu definieren.
  • Persönliche Entwicklung. Durch unsere Aktionen und Reaktionen machen wir die Welt jeden Tag zu einem besseren oder schlechteren Ort. Wir lösen bei anderen ein positiveres oder negativeres Gefühl aus nach der Begegnung mit uns. Durch Selbstreflexion können wir den Tag die Revue passieren lassen. Was hätten wir anders machen wollen? Und wie werden wir diese Vorhaben künftig umsetzen?
  • Die neuen Einengungen können Irritationen, Ärgernisse und Wut hervorrufen. Vor allem wenn wir meinen, dass wir Opfer von Fehlentscheidungen sind. Dann sind Selbstmitleid und Schuldzuweisungen nicht weit. Bitterkeit kann sich breit machen. Auch wenn es sinnvoll sein kann, Missstände anzusprechen und Emotionen zu artikulieren, ist es hilfreich, dieses Stadium zu verlassen. Wenn wir loslassen und vergeben, erzeugen wir keine weitere negative Energie, sondern tun uns selbst und andere Gutes indem wir uns mit Positivem befassen.
  • Das ist nicht nur ein Persönlichkeitsmerkmal, sondern auch eine Entscheidung. Diese können wir üben. Wenn die Wetter-App Regen ansagt, muss es nicht stimmen. Und auch wenn es sich bewahrheitet, kann ich mich für die Natur freuen, den abgesunkenen Wasserstand der angehoben wird. Oder ich gehe nun erst recht heraus, ziehe trockene Klamotten an, wenn ich zurückkehre und erzähle mir selbst und andere, dass ich ein Held bin. Ein kleines Abenteuer!
  • Kombiniere „Carpe Diem“ mit „Memento Mori“. Manchmal lohnt es sich, die Ewigkeitsperspektive einzunehmen. Wir sind Gäste auf Erde. Wir laufen hier eine begrenzte Zeit herum und verlassen den Ort (statistisch) nach 70 oder 80 Jahren. Wie wir in Erinnerung bleiben, hängt von unserem Verhalten, unseren Entscheidungen ab. Auch in Corona können wir inspirieren, positiv beeinflussen, sinnvolle Änderungen bewirken, nachhaltige Aktionen initiieren. Verbinde dieses mit den kleinen Freuden und pflücke den Tag. Lass eine Pizza liefern, auch im Lockdown. Genieße den etwas längeren Schlaf. Mache Dir ein schöneres Frühstück als sonst. Belohne Dich selbst mit einem gekochten Ei. Nimm mehr Zeit zum Lesen. Schreibe 10 Personen was Du an Ihnen schätzt und spüre in Dir selbst, wie Du Dir selbst und andere damit Gutes getan hast!