Die Unbeholfenheit der Interpretation der Digitalisierung für den Arbeitsmarkt

Als ich heute die Süddeutsche Zeitung las, konnte ich meine Augen nicht glauben.

Das Thema „Digitalisierung“ bewegt – bekanntlich – seit vielen Jahren. Zunächst in der Industrie, und zwar seit den 50er Jahren. Seit wenigen Jahren ist fand dieses Thema eine Weiterführung unter dem Stichwort „Industrie 4.0“ (oder Produktion 4.0).

In diesem Zusammenhang wurde auch vermehrt gefragt, welche die Konsequenzen für den Arbeitsmarkt wären. Und hier sind wir – seit heute (meine Interpretation) wieder zurück beim Start.

Ich liste mal meine Beobachtungen auf:

  1. Die Rede von der digitalen Massenarbeitslosigkeit

Bereits in der Nachkriegszeit war die Angst des Absturzes in die Massenarbeitslosigkeit (das Schreckensgespenst der großen Depression war noch frisch) groß. Warner Bloomberg verfasste 1955 sein Werk „The Age of Automation“ und rüttelte den amerikanischen Kongress wach.

Dieser veröffentlichte daraufhin im gleichen Jahr einen 644 Seiten umfassenden Bericht der aus Anhörungen von Experten, Unternehmern und Gewerkschaftern hervorgegangen war. Die Parlamentarier warnten vor Dauerarbeitslosigkeit. Sie hielten die Reduktion der Arbeitszeit bis zur 30-Stunden-Woche für eine prüfenswerte Option der Gegensteuerung.

In den Jahren danach legte sich die Aufregung von allein. Es folgten zwei Jahrzehnte mit weitgehender Vollbeschäftigung bei hohem  Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum.

  1. Die exponentielle Entwicklung der Digitalisierung

Dieses Phänomen hat sich bisher jedes Mal wiederholt. Eine neue Entwicklungsstufe hat jeweils neue Jobs geschaffen. Selbstverständlich fielen auch Jobs weg – aber unter dem Strich war die Entwicklung in Sinne der Arbeitsmarktsituation insgesamt – jeweils positiv zu bewerten.

„Diesmal ist alles anders“, heißt es – und zwar hätte dies mit der exponentiellen Entwicklung der Digitalisierung zu tun. Die Welt schreibt am 11. Januar 2016 unter der Überschrift: „Droht mit Digitalisierung jedem zweiten Job das Aus?“ welche Berufe besonders gefährdet sind: „Ganz oben auf der Liste der Jobs, die laut der Studie dagegen durch Maschinen bedroht sind, stehen Telefonverkäufer, Schreibkräfte und Rechtsanwaltsgehilfen. Als Faustformel gilt: Je höher das aktuelle Gehalt und je mehr Ausbildung der Beruf benötigt, desto geringer sind die Chancen einer schnellen Automatisierung.“ So weit so gut (oder schlecht).

Andere dagegen sahen in der Digitalisierung bereits die dringend benötigte Antwort auf den Fachkräftemangel. Bis 2025 falle 5,5 Mio. Erwerbstätige aus dem Arbeitsprozess weg, da die Babyboomer in Rente gehen. Nur die Hälfte der Arbeitstätige kann von der Generation Y ersetzt werden – der Demographie geschuldet.

  1. Eine gute Ausbildung sichert gute Arbeitsplätze

Wie ein Mantra wurde gebetsmühleartig wiederholt, dass die einzige Sicherheit in diesem Prozess die Qualifikation sei. Gern wurden Statistiken gezeigt, die nachwiesen, dass Akademiker kaum von Arbeitslosigkeit bedroht waren, während gerade die Jobs die mit einer geringeren Qualifikation ausgeübt werden könnten, wegfallen würden.

  1. Und nun dieses…

Heute las ich dann in der Süddeutsche Zeitung (Anlage): „Bisher galt: Die Digitalisierung macht zuerst Jobs im Niedriglohnsektor überflüssig. Jetzt wird klar: Gerade Service- und Dienstleistungspersonal ist unersetzlich. Gefährdet sind eher Beschäftigte mit höherer Qualifikation

Mit Verlaub: Ich komme zur Schlussfolgerung dass unsere Arbeitsmarktspezialisten und Trendforscher keine Ahnung haben was auf uns zukommen wird, bzw. welche die Auswirkungen sein werden.

Das wäre nicht das erste Mal. Der Club of Rome sagte bereits 1973 voraus, dass der Erde im Jahr 1990 das Öl ausgehen würde. Vom Bericht wurden 30 Mio. Exemplare verkauft. Im Nachhinein erinnert sich keiner mehr an die genaue Aussage.

Mein Fazit:

  • Wir leben auf einer Erde auf der sich die Menschen weiterentwickeln – das ist gut so!
  • Deshalb werden wir zunehmend mit Veränderungen, Innovationen und einem Verlassen von alten Wegen konfrontiert.
  • Dieses hat zwei Konsequenzen: Es fallen Tätigkeiten (und somit Jobs) weg – und es werden neue geschaffen.

Wahrscheinlich ist die innere Haltung bedeutender als die äußere Kompetenz.  Die Fähigkeit Abschied zu nehmen und los zu lassen ist wichtiger als den richtigen Abschluss vorweisen zu können.

Da die Erde so schnell dreht, kommen die formalen Ausbildungssysteme ohnehin nicht länger nach mit dem Angebot einer geeigneten Qualifikation.

Schon heute nimmt die Bedeutung der akademischen Ausbildung bei neuen Berufen, relativ gesehen ab. Der Social Media Manager, der App-Entwickler oder der  Candidate Experience Manager in der Personalabteilung muss keine Ausbildung vorweisen, sondern eine Beherrschung der geforderten Fachkompetenz, egal wie diese erlangt wurde. Wo kann ich Destination oder agiles Management studieren oder auch Sustainability – und was wird darunter verstanden?

Wer aber der Vergangenheit nachtrauert, sich ungerecht behandelt fühlt, dass frühere Erfahrungen nicht länger honoriert werden und deshalb in Selbstmitleid verfällt, bitter wird und Schuldzuweisungen von sich gibt, der ist wirklich gefährdet.