Fachkräftemangel: Die neue Hysterie!

Berichtet der SPIEGEL oder die Wirtschaftswoche über den (vermeintlichen) Fachkräftemangel, sind den Magazinen Leserreaktionen sicher. Kaum ein Thema polarisiert derzeit mehr als die fehlenden Facharbeiter.

Sofort reagieren dutzende Spezialisten, häufig über 50, aber nicht zwingend – und berichten von hundert+ Bewerbungen die erfolglos verliefen.

Auf der anderen Seite gibt es die Nachrichten von verzweifelten Arbeitgebern – häufig unbekannt und aus der Provinz – die kundtun, dass sie keine Fachschweißingenieure finden und diese Stellen 18 Monate nicht besetzt werden konnten. Es wäre unfair, zu behaupten dass es sich dabei ausschließlich um Halsabschneider handelt, die kein vernünftiges Gehalt zahlen und übersteigerte Erwartungen pflegen.

Natürlich gibt es noch Berichterstattungen über den „Mittelweg.“ Diese sagen aus, dass es einen Fachkräftemangel gibt, allerdings für gewisse Fachbereiche und dann noch in bestimmten Regionen.

Wer hat Recht?

Jeder berichtet natürlich aus seinem Erfahrungshorizont – aber wie passt das zusammen?

Aus meiner Beobachtung sage ich etwas zur allgemeinen Statistik, zum Arbeitgeber und zum Bewerber. 

1. Statistik

Unabhängig von jeder „Wahrnehmung“ ist es eine Tatsache, dass die Babyboomer, also die geburtsstarken Jahrgänge in Rente gehen. Die Generation die „nachkommt“, kann diese Arbeitskräfte, die sich aus dem Arbeitsprozess verabschieden nicht ersetzen. Auch Zuwanderer füllen die Lücke nicht aus. Auf den ersten Blick ist also anzunehmen, dass sich die Bedingungen am Arbeitsmarkt für Arbeitnehmer verbessern. Dieses ist realistisch, wenn auch mit Vorsicht zu genießen. Auch wenn Arbeitgeber „gezwungen werden die Anforderungen zu senken“ bedeutet dieses keineswegs, dass bald jeder Arbeitslose – unabhängig von Qualifikation und persönlicher Kompetenz den passenden Job findet.

2. Arbeitgeber

Viele Arbeitgeber sind ein wenig naiv. Vor allem Mittelständler (ca. 95% aller Arbeitgeber) die keine Konzern-Strukturen vorweisen, sind häufig zu sehr beschäftigt mit der Erbringung ihrer Dienstleistung um die Zeichen der Zeit zu erkennen.

Sie sehen nicht, dass sie sich in einem „Krieg“ um die besten Talente befinden. Das Thema Personalfindung und Auswahl wird bei ihnen praktiziert wie seit Jahrzehnten. Der Bewerber wird immer noch als Bittsteller behandelt. Und der Arbeitgeber wundert sich, dass sich die Anzahl der eingehenden Bewerbungen auf eine Anzeige dramatisch reduziert.

Auch hat er noch nicht festgestellt, dass der potenzielle Mitarbeiter nicht selbstverständlich in die Provinz zieht. Für die Entscheidung erwartet der Bewerber mehr als einen Job. Der Unternehmer muss die Stärken seines Betriebes in professioneller Weise darstellen und mit den Annehmlichkeiten der Region werben.

Außerdem sind wenige bereit Abstriche zu machen bei der Qualifikation (und weiter zu bilden), beim Alter, bei der Herkunft, beim Geschlecht. Änderungen bei der Einstellung sind jedoch wahrnehmbar!

3. Arbeitnehmer

Aber auch Arbeitnehmer agieren nicht immer intelligent. Angezogen vom Arbeitgeberranking wollen alle bei VW, Audi oder BMW arbeiten. Wenn solche Unternehmen allein schon 200.000 Initiativbewerbungen pro Jahr anziehen, wundert es nicht, dass Bewerber hier mit Absagen rechnen müssen.

Wenige Bewerber sind bereit bei Marktführern, den „Hidden Champions“, abseits der großen Metropolen zu arbeiten. Das ist legitim – denn Freizeit ist kostbar, und nicht jeder wird im Main-Tauber-Kreis glücklich wo sich 23 Weltmarktführern befinden.

Bleibt noch zu vermerken, dass der „traditionelle Bewerbungsprozess“ in sich ein kaum funktionierendes System darstellt. Wenn sich 100 Bewerber auf eine ausgeschriebene Anzeige melden, erlangt – höchstens – einer den Job. 99 gehen leer aus, bleiben aber zurück mit dem Gefühl, versagt zu haben. Dabei ist der Selektionsprozess in vielen Fällen äußerst fragwürdig und die Auswahl gründet häufig auf persönlichen Sympathien und weniger auf Qualifikation.

Ergänzend fühlen sich Arbeitgeber häufig mit dem Rekrutierungsprozess überfordert – und gehen andere Wege. Sie suchen selektiv bei Karriereportalen, beauftragen einen Personalberater, arbeiten mit der ZAV zusammen und laden zunächst die Kandidaten ein, die eine Initiativbewerbung verschickt haben. Dabei nimmt das „Active Sourcing“ zu, was bedeutet, dass Unternehmen direkt mit entsprechenden Arbeitnehmern in Verbindung treten, z.B. über XING. Der verdeckte Arbeitsmarkt ist eine Realität und hier befinden sich 65% aller offenen Stellen – unsichtbar – lt. Agentur für Arbeit!

Es ist kaum möglich, eine abschließende Schlussfolgerung zu verfassen, außer der Feststellung dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer häufig nicht zusammen finden. Beide können zum „Matching“ beitragen. Und es wäre gewiss nicht notwendig, dass eine solche Lücke zwischen Bedarf (sowohl nach Fachkräften auf Arbeitgeberseite als auch nach den entsprechenden Stellen auf Arbeitnehmerseite) und Angebot klaffen würde…

18.08.2014

 

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