Zugegeben: Soziale Netzwerke waren immer gegenwärtig. Der Fokus vor zwei Monaten war aber ein anderer. Instagram nahm kontinuierlich in Beliebtheit zu. Bilder von Hallstatt in Österreich, Fjorden in Norwegen oder Trendy Hotels in Singapur konnten ein Touristengefüge durcheinander bringen. Dagegen schein die Bedeutung für die Karriere etwas in den Hintergrund zu treten.
Das war logisch. Denn Deutschland erlebte 10 Jahre Aufschwung! Die Zahl der Arbeitslosen hat sich seit der Finanzkrise in 2009 von 5 Millionen auf weniger als die Hälfte reduziert. Zuletzt wurde die Arbeitslosigkeit mit einer „4“ vor dem Komma geschrieben – nahezu Vollbeschäftigung.
Der Arbeitsmarkt wurde zu einem Arbeitnehmermarkt. Arbeitgeber fanden sich in einer neuen Rolle: die des Bittstellers. Wer nicht mit flexiblen Arbeitszeiten, großzügige Elternzeitregelungen, Work-Life Balance und Co. dienen konnte, hatte bald das Nachsehen. Kritisch blieb der Arbeitsmarkt vor allem für Personen jenseits von 55.
Das ändert sich nun. „Das Gespenst um den Kampf um die Stelle“ ist nicht zurück. Es findet jedoch eine Sensibilisierung statt. Gerade da sich Bewerber weniger bewegen können, nimmt die Frage nach der Auffindbarkeit zu. Wie kann Netzwerken erfolgen, wenn ich mich im Home-Office befinde? Auch wenn Lockerungen in Aussicht gestellt werden, empfinden viele dennoch, dass sie ihre Kompetenzen deutlicher sichtbar machen sollten und ihre Erfolge dokumentieren.
Daher habe ich mich entschieden, den ersten Teil des 5. Kapitels aus „Bewerben 4.0“ zur Verfügung zu stellen. Die weiteren Teile folgen im Zwei-Tages-Rhythmus. Es wird nicht nur über die Bedeutung von LinkedIn und XING gesprochen, sondern über den Nutzen von Twitter, Instagram, einer Facebook-Seite, YouTube & Co. für die berufliche Entwicklung:
Mach dich sichtbar
>> Im letzten Kapitel haben wir gesehen, dass wir fokussiert arbeiten und handeln sollten. Unsere Umgebung hat wenig Zeit und Energie in einer Welt, die ständig Aufmerksamkeit verlangt. Wenn wir wahrgenommen werden wollen, müssen wir uns auf das Wesentliche konzentrieren. Das ist die eine Seite der Medaille.
Gleichzeitig ändert sich die Bewerbungslandschaft gerade äußerst radikal! Wir stellten bereits fest, dass alte Gesetzmäßigkeiten über Bord geworfen wurden. Von den traditionellen Stellenausschreibungen in Print-Medien haben sich die Unternehmen längst verabschiedet. Zudem haben wir erfahren, dass sie mit Stellenanzeigen bei Jobbörsen nur begrenzt erfolgreich sind. Firmen erhalten sehr viele Rückmeldungen in meist niedriger Qualität. Wenn sie aber den Bewerbern – aus deren Sicht – nicht gerecht werden, rächt sich dies meistens. Arbeitgeber stellen fest, dass sie gerade die Bewerber, die sie ansprechen möchten, häufig nicht erreichen. Diese Thematik ist nicht neu, verschärft sich in Zeiten, in denen nahezu Vollbeschäftigung herrscht, aber noch. Wer keine Angst um seinen Arbeitsplatz hat und mit dem Job zufrieden ist, schaut sich nicht nach anderen Funktionen um.
Diese Situation ist zum Beispiel in der Schweiz mit circa 3 Prozent Arbeitslosigkeit und somit de facto Vollbeschäftigung schon lange bekannt. Arbeitgeber inserieren in der Schweiz kaum. Es herrscht eine Stimmung zwischen einerseits Resignation („ich könnte den Umsatz verdoppeln, wenn ich die richtigen Mitarbeiter hätte – die gibt es aber nicht am Markt“) und andererseits Kreativität. Schweizer Unternehmen schauen über die Ländergrenzen hinaus, verlassen sich auf ihr Netzwerk (in vielen Branchen kennt jeder jeden) oder hoffen, dass sie durch die Beauftragung von Personalberatern noch auf zusätzliche Kompetenzen Zugriff haben. So arbeiten viele Firmen mit Personalvermittlern zusammen, die verankert sind in einer Region, in einer Branche und gute Kontakte zu verfügbaren Kandidaten vorweisen. Das alles bewirkt keine Wunder, zeigt aber, wohin auch Deutschland unterwegs ist.
Active Sourcing
Je weniger das Prinzip „Stellenausschreibung“ aus Unternehmenssicht funktioniert, umso mehr suchen Arbeitgeber andere Wege. Ein solcher Weg ist das Active Sourcing.
Hier die Definition von Wikipedia: „Active Sourcing ist ein Konzept des Personalwesens, das in der Personalbeschaffung eingesetzt wird. Active Sourcing steht für alle Maßnahmen der Identifizierung vielversprechender Mitarbeiter auf dem externen Arbeitsmarkt, bei denen das Unternehmen aktiv versucht, in persönlichen Kontakt mit potenziellen Bewerbern und Mitarbeitern zu treten und eine dauerhafte Beziehung zu den Bewerbern aufzubauen.“ Sprich, Unternehmen verlassen sich immer weniger auf den indirekten Weg über Anzeigen oder auch Berater. Sie versuchen selbst, aktiv mit entsprechenden Kandidaten in Verbindung zu treten. Der Vollständigkeit halber ergänze ich, dass auch Personalvermittler diesen Weg gehen.
Wer als Bewerber von diesen verstärkt praktizierten Vorgehensweisen Gebrauch machen möchte, muss natürlich auffindbar sein. Wir sehen also, dass es gleichzeitig zwei Entwicklungen in der Bewerbungswelt gibt: die im vorigen Kapitel beschriebene Verdichtung des Bewerbungsprozesses einerseits und die Notwendigkeit, sichtbar zu sein, andererseits. Bewerber müssen „Kreuzungen besetzen“ und eine digitale Reputation aufbauen. Das sollte strategisch intelligent und mit Bedacht erfolgen.
„Sei froh, wenn über dich nichts auffindbar ist …“
Ich bin regelmäßig in Kontakt mit Kandidaten, die das Internet als Bedrohung ansehen. Sie sind aufgewachsen mit der Vorstellung: „Je weniger über mich auffindbar ist, desto besser!“ Gelegentlich schwingt ein Hauch Stolz mit: „Das brauche ich nicht …“ Häufig ist aber auch Unwissenheit verbunden mit Unfähigkeit im Spiel. Ich stelle jedoch fest, dass nun Unsicherheit hinzukommt. Top-Fach- und Führungskräfte sind von Kollegen umgeben, die Profile bei XING und LinkedIn unterhalten. Sie wissen, dass sie „eigentlich etwas machen sollten“, aber was? Viele assoziieren das Anlegen eines Profils mit einer öffentlichen Selbstdarstellung – und dieses Empfinden trifft zu! Manchen ist diese Vorstellung aber zutiefst zuwider. Bereits in Bewerbungsphasen war ihnen das immer ein Gräuel. Vor allem für jene, die sich noch nie beworben haben, ist eine „Zurschaustellung“ unvorstellbar. Der Begriff „Bewerbung“ wird auch häufig mit Selbstbeweihräucherung verbunden, denn: „Was soll ich schon über mich sagen?“ Daher sehen viele Lebensläufe auch so steril aus. Wir sind vielleicht noch bereit, unsere beruflichen Stationen aufzulisten. Mit „Leistungen“ und „Erfolgen“ können wir wenig anfangen. Soll doch die berufliche Entwicklung für uns sprechen. Qualifikation zählt! Aber Werbung in eigener Angelegenheit wird fast als unmoralisch angesehen.
Für diese Bewerber ist das Internet mit den Social Media im Sinne des Personal Brandings eine unfassbare Umstellung. Sie fühlen sich wie im Buch Der kleine Eisbär, als säßen sie auf einer schmelzenden Eisscholle. Die Verwurzlung im Job vermittelt eine vermeintliche Sicherheit. Aber wenn der Ernstfall doch eintritt, ist kein digitaler Auftritt vorhanden. Einige Bewerber spüren intuitiv, dass es (fast) „zu spät“ sein könnte, mit dem Online-Auftritt anzufangen, wenn sie erst mal darauf angewiesen sind. Andere hoffen, sie könnten auf ein analoges Netzwerk zurückgreifen. Häufig stellt sich dies jedoch als falsch heraus.
Viele Fachexperten und Führungskräfte erkennen nicht, dass die Tragfähigkeit mancher Geschäftsbeziehung nur gering ist. Sie sind ernüchtert, enttäuscht oder gar verbittert, wenn sie feststellen, dass Zuwendungen eher ihrer Position galten als ihrer Person. Diese Überlegungen legitimieren zumindest eine Beschäftigung mit dem Thema der Auffindbarkeit.
Vorteile des digitalen Auftritts
Bevor wir uns anschauen, wie du optimal sichtbar werden kannst, wollen wir uns die Vorteile eines digitalen Auftritts vor Augen führen:
- Im Idealfall zeigen wir einfach, wer wir sind und was wir können, und schon wird ein potenzieller Arbeitgeber oder ein Personalvermittler auf uns aufmerksam. Wir müssen uns nicht mehr aktiv bewerben, sondern die richtige Person (Recruiter, Personalleiter, Fachbereichsleiter) hat bei uns „angebissen“. Manche mag das an Brautschau oder einen Jahrmarkt erinnern und es ist ihnen zuwider. Dennoch ist es praktisch. Früher fanden wir es charmant, wenn ein Headhunter bei uns an geklingelt hat. Auch dieser wurde auf uns aufmerksam – allerdings ohne unser direktes Dazutun. Es verletzt vielleicht unsere Eitelkeit, dass wir in diesem Fall uns selbst angepriesen haben. Das Ergebnis ist jedoch das Gleiche.
- Wir bestimmen die Wahrnehmung! Das Internet an sich ist wertfrei. Es hat dunkle Seiten, wenn es missbraucht wird. Aber es kann das Leben auch bereichern und verbessern. Wir können hier vermitteln, was uns wichtig ist, wofür wir stehen und über welche Kompetenzen wir verfügen. Das brauchen wir nicht anderen überlassen. Natürlich ist es schön, wenn unser Umfeld von selbst wertschätzend über uns spricht – das ist natürlich gleichzeitig möglich (wie wir gleich sehen werden). Im Netz lenken wir aber den Fokus auf die Aspekte unserer Person, die wir in den Vordergrund stellen möchten.
- „Ende des Lebenslaufs“: Bei Google gibt es circa 15 000 Einträge zu diesem Stichwort. Das ist überschaubar, kann allerdings auch nicht ignoriert werden. Auf der Zeitachse nimmt dieses Thema an Bedeutung zu. Wenn Active Sourcing betrieben wird, finden HR-Manager zunächst nicht den formalen Lebenslauf eines Kandidaten, sondern die Aussagen über ihn, die erscheinen, wenn der Name eingegeben wird. Wie können wir uns das konkret vorstellen? Ein Headhunter sucht zum Beispiel bei XING nach einer bestimmten Funktion, verbunden mit einem derzeitigen oder vorherigen Arbeitgeber. Vielleicht gibt er als weiteres Suchkriterium noch eine Aussage unter „Ich biete“ ein. Nun wird unter anderem unser Profil aus circa 15 Millionen Mitgliedern herausgefiltert. Der Headhunter nimmt uns wahr und möchte nun wissen, was er noch über uns findet. Er googelt den Namen und was da zum Vorschein kommt, liegt schwerpunktmäßig in unserer Hand. <<
Aus „Bewerben 4.0“ S.97 – 100 – Teil 2 folgt Montag, der 4 Mai 2020
https://www.walhalla.de/beruf-&-leben/bewerben-4.0_2.produkt.html