Mehr als die Hälfte meiner Kunden befindet sich freiwillig in der Neu-Orientierung. Ihr Unternehmen wurde von anderen Eigentümern übernommen. Die Zusammenarbeit mit dem neuen Chef funktioniert nicht gut. Die Aussichten für die Branche sind mittelfristig wenig aussichtsreif. Es ergeben sich keine Chancen zu einer Weiterentwicklung. Oder – recht häufig – um die 50 stellt sich die Frage „ob dieses schon alles war“? Diese Klienten können sich dann nicht vorstellen, weitere 15 bis 20 Jahre einer Tätigkeit nachzugehen -mehr vom Gleichen – die immer weniger den Werten ihrer aktuellen Lebensphase entspricht.
Viele Bewerber waren vor der Krise gut unterwegs. Sie hatten Unternehmen identifiziert bei denen sie sich bewerben wollten. Es wurden Headhunter selektiert an die sie sich wenden würden. Lebensläufe für entsprechende Datenbanken wurden auf Vordermann gebracht. Dann kam Corona.
Mehrere Kandidaten stehen mitten im Prozess. Es fanden bereits erste Interviews statt. Nun wollten sie nachlegen. Sie stellen die Frage, ob das Sinn macht, oder ob sie warten sollen.
Dazu gibt es einige grundsätzliche Überlegungen.
Zunächst – und das ist nicht das erste Mal, dass ich dieses kundtue – aber die Relevanz dieser Tatsache kristallisiert sich nun deutlicher heraus – erleben Unternehmen eine ganz unterschiedlichen Dynamik in der Pandemie:
- Verlierer
Davon gibt es nicht wenige – und diese füllen die Nachrichten. Das hängt – auch – damit zusammen, dass die Medien bevorzugt über die Katastrophen berichten und weniger über die Firmen denen es gut geht. Wir wissen mittlerweile um die Branchen die (teils ums Überleben) kämpfen. Das ist z.B. der Einzelhandel, die Gastronomie, der Tourismus in allen Schattierungen wie Fluggesellschaften, Hotels, Dienstleister vor Ort, Autovermieter, Kreuzfahrtschiffe, usw.
- Neutral
Dann gibt es eine Reihe von Unternehmen oder Organisationen die von der Krise weniger betroffen sind. Das ist z.B. die Telekommunikation mit langfristigen Verträgen, Banken, Versicherungen, Software-Unternehmen, Behörden. Die Deutsche Bank hat gerade einen überraschenden Gewinn ausgewiesen, Krise hin oder her. Pflege und Gesundheitswesen erleben eine neue Dynamik, wenn auch keine erhöhten Erlöse.
- Gewinner
Bei den Gewinnern sollen wir nicht nur an Beatmungsgerätehersteller wie Dräger denken. Viele Mitarbeiter sind ins Home-Office „verbannt“ und benötigen Laptops, externe Kameras, Mikrophone, Kommunikationssoftware oder leistungsfähigere Chips. Wer Aktien von Intel im Depot hat, kann sich freuen. Gegen die Langeweile werden Abos auf Netflix, Apple TV, Amazon und Disney+ gebucht. Es werden Online-Games gekauft. Für die Kondition werden Inliner bestellt, das neue Fahrrad, oder – falls Platz vorhanden – die Fitness-Geräte für zu Hause. Es werden Wetten auf Impfstoffe abgeschlossen und Pharma-Unternehmen wie Gilead erleben einen Höhenflug.
HR-Abteilungen
Die ersten Wochen waren es nicht zuletzt die HR-Abteilungen die sich umstellen mussten. Zunächst waren sie von der Hoffnung geprägt, die Krise würde bald vorüber gehen. Als absehbar wurde, dass dieses unabsehbar war, haben sie ihre Tätigkeit erneut aufgegriffen und auf Video-Konferenz Recruiting umgestellt.
Das beantwortet die Frage nach der derzeit richtigen Aktion noch nicht. Dennoch ist sichtbar „dass das Leben zurückkehrt“. Es fahren wieder vermehrt PKWs aus entfernten Landkreisen herum. Die Straßen sind voller. Die Fußgängerzonen wurden die vergangene Woche noch zögerlich besucht. Das sieht diese Woche tendenziell schon anders aus. Auch wenn wir uns gerade an Gesichtsmasken gewöhnen, findet dennoch eine emotionale Lockerung statt.
Ich empfehle meinen Kunden ihre Zielunternehmen nach einer ABC-Analyse zu differenzieren:
C-Unternehmen
Es spricht nichts dagegen, diese ab sofort anzuschreiben. Das gleiche gilt für eine Reaktion auf ausgeschriebene Stellen. Natürlich ist es in dieser Zeit gut, die Profile bei XING und LinkedIn auf Vordermann zu bringen. Dazu können Lebensläufe in entsprechende Datenbanken (Experteer, Monster, Stepstone, Indeed.com um einige zu nennen) hinterlegt werden.
B-Unternehmen
Das sind gute Zielunternehmen. Mein Ratschlag: noch mindestens zwei Wochen warten. Die Chance ist groß, dass wir weiter zu einer „gefühlten Normalität“ zurückkehren in der Bewerbungsverfahren einfacher werden.
A-Unternehmen
Hierbei handelt es sich um Lieblings-Unternehmen, Wettbewerber, Marktführer der Branche, Hidden-Champions oder Gewinner der Krise. Ich empfehle dazu, noch ca. vier Wochen zu warten bis Ende Mai/Anfang Juni. Die Chance ist groß, dass sich Personaleinstellungen der Firmen die weiterhin Mitarbeiter rekrutieren, dann unter geänderten Vorzeichen wieder „normalisiert“ haben.
Was ist aber mit den Sommermonaten? Die Urlaubszeit war doch immer eine schlechte Zeit für Bewerbungen? Ja, das stimmt – aber dem Anschein nach „fällt der Sommer dieses Jahr aus“ und zwar auf drei Ebenen:
1. Nachholbedarf der Unternehmen
Viele Firmen möchten „retten was zu retten ist“. Das gilt weniger für das Steakhouse, denn die Umsätze sind unwiderruflich verloren. Für den Autohändler sieht das schon anders aus. Wer Anfang Februar einen Golf kaufen wollte, wird – soweit das Gehalt nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde – diesem Unterfangen weiterhin nachgehen wollen. Womöglich hat der eine oder andere die Zeit gar genutzt, im Internet zu recherchieren.
2. Wunsch der Arbeitnehmer
Viele Arbeitnehmer die sechs Wochen+ im Home-Office verbracht haben, sind froh „mal wieder heraus zu gehen“. Viele (selbstverständlich nicht alle, je nachdem welche Arbeiten zu verrichten waren, ob Kinder zu Hause waren, usw.) haben sich dennoch erholen können. Der Wunsch ist nicht primär vorhanden, ab Juni in die Ferien zu fahren. Die Planung wird vielleicht auf den Herbst verschoben.
3. Wohin auch?
Drittens ist es – noch – unmöglich mit einer gewissen Sicherheit Urlaub zu buchen. Länder wie Italien oder Spanien scheinen auszufallen. Wenige können sich vorstellen, die Billigflieger erneut zu bevölkern. Kaum einer begibt sich derzeit freiwillig auf ein Kreuzfahrtschiff. Es werden auch keine Reisen angeboten. Massentourismus wird kritisch wahrgenommen. So freuen sich die Inhaber von Ferienwohnungen an der Nord- und Ostsee. Diese werden ihre Domizile gewiss gut vermieten können. Aber für andere „fällt der Urlaub aus“, zumindest in den Monaten Juni, Juli und August.
Das bedeutet, dass der Zeitraum, der bisher für Bewerbungsaktivitäten eher ungeeignet war – da sowohl Headhunter, als auch Personalverantwortliche und ebenfalls Entscheidungsträger in den Fachabteilungen abwesend waren – sich nun für eine Bewerbungsoffensive anbieten.