Überschätzung der Leistung – Unterschätzung des Zufalls

„Herr Zeylmans, ich sehe die Situation nicht als problematisch. Bisher habe ich nur drei Arbeitgeber gehabt und ich hatte nie Probleme, einen neuen Job zu finden“.

„Ich habe mich nie bewerben müssen. Entweder fand ich den Job über mein Netzwerk, oder ich wurde vom Headhunter angesprochen“.

„Mein Werdegang zeigt die Entwicklung. Immer habe ich mehr Verantwortung übernommen. Meine Leistungen sprechen für mich“.

Bisher ging alles von selbst

Meine Kunden sind häufig zwischen Mitte 40 und Mitte 50. Viele haben die Arbeitswelt nie als problematisch erlebt. Sie kommen zu mir, da es das erste Mal „nicht mehr von selbst“ funktioniert.

Die „Schuld“ wird vielfach in den äußeren Umständen gesehen. Corona. Die Welt hat sich verändert. „Ich war nie ein Netzwerker“. Oder „Heute muss man wohl ein Profil bei XING und LinkedIn haben – das war nie meine Sache“.

Es schwingt die Irritation mit, dass Einladungen ausbleiben, das Umfeld die Erfolge nicht wahrnimmt, oder sich Konstellationen (dazu auch ausdrücklich: das Alter) geändert haben.

Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt…

Die Arbeitswelt ist häufig ein Parallel-Universum, das lediglich in unserem Kopf existiert. Wir legen uns „die Welt“ und unsere Karriere zurecht, wie sie uns gefällt. Gelegentlich lesen wir auf der Rückseite von Wirtschaftszeitschriften die Überschrift: „Was macht eigentlich XXX?“.

Aus der grauen Vergangenheit stehen dann ehemalige DAX-Lenker auf. Eine klassische Frage: „Was war der Grund Ihres Erfolges?“ Wir wollen schließlich alle erfolgreich sein. Was liegt näher, als die Geheimnisse von denen zu lernen, die es vermeintlich wissen müssen.

Spannend: Die Antworten teilen sich in zwei Kategorien. Einerseits kommen Antworten wie: „Mein Fleiß. Ich habe mehr gearbeitet als andere. Mein Partner hat verzichtet. Ich habe für die Firma gelebt“.

Andererseits kommen Antworten wie: „Ich habe auch Glück gehabt. Zum richtigen Zeitpunkt war ich am richtigen Ort. Der damalige Vorstandsvorsitzende wurde zu einem Mentor für mich. Meine Ära fiel gerade in einer Zeit in der die Wirtschaft stark gewachsen ist.“

Wenn die erste Kategorie der Arbeitnehmer nicht bis zur Rente auf der „Erfolgsspur“ bleiben, sind sie sehr irritiert, dass vorherige Erfolgsprinzipien nicht länger funktionieren. Die zweite Kategorie vermag Leistungen und Erfolge zu relativieren und versteht, dass auch die Umstände eine Karriere geformt haben.

Ist alles Zufall?

Sind wir dann dem Zufall überlassen? Das könnte eine Schlussfolgerung sein, die uns aus der Verantwortung herausnimmt.

Auch wenn das Leben nicht planbar ist, können wir darauf Einfluss nehmen oder es zumindest versuchen.

Hier einige Tipps, die sich – aus der Beobachtung heraus – bewährt haben:

a. Wer ist meine Führungskraft?

Meine Leistung wird selten objektiv wahrgenommen, sondern fast immer durch die Augen meines Chefs interpretiert. Ist meine Führungskraft eine Person die fördert? Jemand der an der Entwicklung der Mitarbeiter Freude hat? Eine Person im gleichen Alter wie ich?

Natürlich können sich vorgesetzte Stellen ändern. Auch ist es schwierig, die Persönlichkeit des Chefs im Interview zu ergründen. Um so wichtiger, qualifizierte Fragen in dieser Hinsicht zu stellen und auf die Intuition zu hören.

b. Wer ist mein Arbeitgeber?

Wenn sich die Hauptverwaltung in München befindet, bin ich in Ulan Bator weniger sichtbar, auch wenn ich exzellente Ergebnisse erbringe. Ist mein Arbeitgeber größer, sin die Entwicklungswege vielfältiger. Auch mein Chef kann die Karriere verfolgen und einen Weg frei machen. Natürlich macht es – grundsätzlich – mehr Sinn bei einer Zukunftsbranche anzufangen als in einem Bereich der schrumpft.

c. Wer bin ich?

Wie ein Pendel wandelt sich das Profil des idealen Mitarbeiters. Das Gleiche gilt für die Führungskraft. Mal sind „Klare Ansagen“ dran. Einige Jahre später die „coachende Attitüde“. Danach kann sich keiner richten. Es macht sicherlich Sinn, ein situatives (Führungs-) Verhalten an den Tag zu legen und dabei gleichzeitig authentisch zu bleiben. Hier hilft durchaus das Bewusstsein, „eine Rolle zu spielen“, was in Ordnung ist, wenn das Spiel nicht zu ernst genommen wird.

Darüber hinaus ist die goldene Regel ein guter Leitfaden. Wie ich behandelt werden will, behandele ich andere. Personen mit guten Ergebnissen, aber einem fragwürdigen Werte-Kodex überleben meistens solange die Resultate stimmen. Ein freundlicher, hilfsbereiter und gerechter Charakter ist kein Ersatz für Leistung. Gleichwohl erhalten solche Mitarbeiter häufig eine zweite Chance.