Volks- und Marktwirtschaft – mehrdeutige Interpretation: Konjunkturschwäche zeigt kaum Spuren auf dem Arbeitsmarkt

Wir leben in einer VUCA-Welt. Und neben den Abkürzungen „volatil“, „unsicher“ und „komplex“ haben wir mit dem vieren Wort „ambiguous“ zu tun, das so viel wie „mehrdeutig“ bedeutet.

Nachrichten sind immer weniger eindimensional zuzuordnen. Aufnahme von Flüchtlingen? Der größte Fehler von Merkel? Oder zeigt sie Weitsicht, da die Zuwanderung (zumindest in der zweiten Generation) unsere Wirtschaft stützt, sowohl von der Fachkräfteseite her als von der Konsumentenbetrachtung.

Elektromobilität? Rettet unseren Planeten? Oder haben wir Langzeitwirkung unterschätzt von der Batterie-Erzeugung und Entsorgung? Wir lesen Fakten, aber entsprechen diese auch der Wahrheit? Und gibt es nur diese eine Sichtweise? So kommt der Quelle der Nachrichten häufig größerer Bedeutung zu als der Inhalt selbst.

Das sehen wir im Augenblick erneut an uns vorbeiziehen. Volkswagen will 7.000 Arbeitsplätze „abbauen“ (hier stehen nicht gleich Mitarbeiter vor der Tür, sondern die welche in Rente gehen, sollen nicht ersetzt werden – was bei einem Personalbestand von über 650.000 Arbeitnehmern recht schnell erfolgen kann). Auch BMW will sparen und die ersten Zulieferer sehen die Zukunft ebenfalls düster. Elektromotoren sind einfacher zu bauen, also werden weniger Arbeitnehmer benötigt. Aber halt, das ist nur die halbe Wahrheit. Denn Vorreiter wie Tesla zeigen, dass sich ein Auto gar nicht länger – nur – über Hubraum und sonstige Leistungsdaten definiert. Somit werden andere Kompetenzen gesucht.

So werden – quer durch viele Branchen – einerseits Arbeitsplätze wegfallen, während andere aufgebaut werden. Die Allianz baut Mitarbeiter ab, wehrt sich aber vehement gegen die Aussage, dass unter dem Strich Arbeitnehmer wegfallen. Denn gleichzeitig baut sie digitale Kompetenz auf und sucht dazu  das erforderliche Personal.

In anderen Branchen, dagegen, wird lediglich der Personalstamm aufgebaut. In Dienstleistungsbereichen wie der  Pflege, bei Medizinern oder Lehrern können sich Kandidaten bei entsprechender Qualifikation den Arbeitsplatz aussuchen.

Auch wenn das Empfinden entsteht, dass Wachstum abnimmt, ist das zwar stimmig – es bedeutet aber noch nicht dass dieses (voll) auf den Arbeitsmarkt durchschlägt. Auch hier kommt es wieder auf die Interpretation an. Jeder der einen Arbeitsplatz verliert ist betroffen und steht vor einer existentiellen Herausforderung. Da tröstet es wenig, dass ich meinen Arbeitsplatz in der Motor-Entwicklung verliere, dafür aber App-Programmierer gesucht werden. Makro-ökonomisch sieht es natürlich anders aus.

In allem drohen wir immer zu übersehen, dass Millionen Arbeitnehmer die kommenden fünf bis 10 Jahre auf Grund der demographischen Entwicklung aus dem Arbeitsprozess aussteigen. Auch wenn Unternehmen die Arbeitsplätze neu besetzen wollten, hätten sie größte Schwierigkeiten. Schon heute ist das Fehlen von qualifiziertem Personal die größte Sorge von Arbeitgebern.

Auf der individuellen Ebene ändert das nichts. Pfizer veröffentlichte vor wenigen Wochen eine Anzeige in der FAZ in der einen Bericht zitiert wurde mit der Aussage, dass sich im Jahr 2020 die Entwicklung im Gesundheitswesen alle 73 Tage verdoppelt. Die Frage in dieser Werbung: „Sind wir darauf vorbereitet?“ Bei dieser rasanten Geschwindigkeit finden sich kaum Mitarbeiter mit einem aktuellen Wissensstand. Gleichzeitig ist es unrealistisch, anzunehmen, dass ein erworbenes Wissen von vor 40 Jahren heute noch Bestand hat. Das Karussell dreht sich immer schneller. Und viele fliegen herunter.

Häufig werden wir nicht länger an der gleichen Stelle aufsteigen können, wo wir  herausgeflogen sind. Hier spielen Resilienz und die Fähigkeit, sich neu zu erfinden eine bedeutende Rolle. Erfahrung wird nur noch ganz begrenzt honoriert.

Ich kenne ehemalige Geschäftsführer, Firmeninhaber und Führungskräfte die heute als Auslieferfahrer angestellt wurden, sich an Start-Ups beteiligt haben, als Versicherungsvertreter tätig sind. Die meisten haben mal das Fünffache ihrer derzeitigen Einnahmen verdient.

Dieses ist ein Paradigmenwechsel. Immer weniger wird sich jemand sein ganzes Leben über seinen vermehrten Wohlstand und Status definieren können. Wohl dem, der seinen Lebensstil nicht zwingend den Einnahmen angepasst hat. Dieser kann dem jeweiligen Neu-Anfang möglicherweise etwas abgewinnen. Nicht nur ist es möglich, in mehreren Kompetenzbereichen im Leben tätig zu sein (hier rede ich nicht von Theorie sondern auch von einem eigenen Erleben) – es können ebenfalls in jeder Lebensphase andere Schwerpunkte verfolgt werden. In jüngeren Jahren vielleicht eher die Karriere und das Ausloten von Grenzen. Zu einem späteren Zeitpunkt steht möglicherweise mehr Zeit mit der Familie im Mittelpunkt. Im letzten Drittel der Karriere kann dem Thema Sinn und Autonomie etwa mehr Platz eingeräumt werden. >