Die Schere geht auseinander. Nach jahrelangem Aufschwung werden wir nun mit kritischeren Botschaften konfrontiert. Der Diesel-Absatz stagniert. Der Trump-Effekt macht sich bemerkbar. Deutschland erlebt ein negatives Wachstum im dritten Quartal. Gewinnwarnungen sind an der Tagesordnung – gerade in Branchen die den Erfolg der Bundesrepublik repräsentierten. Der DAX taucht ab und Zukunftsprognosen trüben sich ein.
Gleichzeitig kennt die Beschäftigung nur einen Weg: nach oben! Mit 45+ Millionen Beschäftigten ist ein Rekordstand erreicht. Zum gleichen Zeitpunkt verzeichnet die Arbeitslosigkeit den tiefsten Wert seit der Wiedervereinigung mit einer „vier“ vor der Kommastelle. In mehreren Bundesländern ist die Vollbeschäftigung bereits Fakt. Andere sind dahin unterwegs. Die Bundesagentur hat über 800.000 Stellen ausgeschrieben. Nach eigenen Angaben ist dieses die Spitze des Eisberges mit 35 Prozent. Weitere 65 Prozent finden sich im verdeckten Arbeitsmarkt. Das ergibt also einen Saldo von ca. 2,5 Millionen offenen Stellen in der Bundesrepublik.
Als ich vor wenigen Wochen eine ausgeschriebene Stelle bei einem Süddeutschen Baustoffhandel sah (der für einen Klienten von mir interessant sein konnte) rief ich den – mir persönlichen bekannten – Niederlassungsleiter an für Details. Er offenbarte mir: „Vincent, in diesen Zeiten ist es schwer, qualifiziertes Personal zu finden. Wir schalten immer wieder Anzeigen, hinter denen kein Job steht. Wir schauen, wer sich meldet. Kandidaten mit Potenzial laden wir ein und für die finden oder kreieren wir einen Job.“
Wie kann es sein, dass einerseits eine Verunsicherung in den Arbeitsmarkt Einzug hält, während Arbeitgeber andererseits zu kreativen Methoden greifen, damit sie noch Personal rekrutieren? Erstens reagiert der Arbeitsmarkt immer mit erheblicher Verzögerung. Im Augenblick werden Mitarbeiter benötigt, damit sie die Aufträge abarbeiten, die vor vielen Monaten erteilt wurden. Auch sind die Pipelines vieler Unternehmen – noch – voll. Es ist die Rede davon, dass ca. 50 Milliarden Euro Auftragsvolumen nicht realisiert werden kann, da die Mitarbeiter fehlen.
So leben viele Arbeitgeber im hier und jetzt. Zweitens sind viele Berufsgruppen wirklich Mangelware. Vor wenigen Tagen wurde ich von einem kleinen Mittelständler angerufen der eine erfolgreiche App vermarkten und ausbauen möchte. Er wollte wissen, ob ich Entwickler kennen würde. Ich konnte ihm nur mitteilen, dass der einzige Weg, diese Mitarbeiter zu einem akzeptablen Gehalt zu gewinnen über die Unternehmensbeteiligung führt. Das gilt für Elektro-Ingenieure, Informatiker und Techniker. Selbstverständlich kennen wir dieses Phänomen bereits aus der Pflege und der Suche nach Medizinern.
Drittens – und dieses wird häufig übersehen – spielt die Demographie im Hintergrund eine beständige, nachhaltige und fast unabänderliche Rolle. Für Arbeitgeber ist dieses bedrohlich. Für Arbeitnehmer eine Beruhigung. Im Jahr 2018 verlassen insgesamt ca. 300.000 Mitarbeiter mehr aus Altersgründen den Arbeitsmarkt als neu hineinfinden. Dieses ist erst der Anfang. Die geburtsstarken Jahrgänge halten bis 1965 an – und diese gehen die kommenden 10 bis 15 Jahre in Rente.
In effektiven Zahlen bedeutet dieses, dass die Zahl der Erwerbstätige von heute 45+ Mio. auf lediglich 38 Mio. im Jahr 2025 absinken wird. In dieser Zahl wird der Zuzug von Migranten bereits Rechnung getragen.
Natürlich ist die Diskussion um die Digitalisierung noch nicht ausgestanden. Hier stehen sich Fachexperten gegenüber. Manche meinen: Die Digitalisierung schafft mehr Arbeit – unter dem Strich. Andere sagen, dass es sich die Waage halten wird. Eine dritte Gruppe ist davon überzeugt, dass diesmal (das erste Mal seit 1960) die Uhren anders ticken und mehr Arbeitsplätze wegfallen als aufgebaut werden. Auch wenn das dritte Szenario eintreffen würde, sind manche der Meinung, dass den Arbeitgebern nichts Besseres passieren könnte: schließlich trocknet der Markt der Arbeitnehmer aus!