Zufrieden, aber insgeheim wechselwillig: Bisweilen jeder Zweite offen für neuen Job

Zwei mittelständische Unternehmen in NRW. In der einen Firma habe ich ein Teamtraining im November und Dezember 2017 durchgeführt. Den anderen Arbeitgeber habe ich Januar 2018 im Rahmen einer Nachfolgefrage beraten.

Beide waren mit schmerzhaften Personalabgängen konfrontiert. Die Unternehmen waren sich bewusst, dass sie in Führungsfragen Nachholbedarf vorwiesen. Gleichwohl haben sie dieses Thema nie zu sehr ernst genommen.

Im einen Fall hat die Geschäftsführungsebene Restrukturierungen (keine Kündigungen) durchgeführt, den Sinn davon aber nicht kommuniziert. Außerdem hat die Geschäftsleitung Führungsebenen übersprungen und im operativen Tagesgeschäft mitgemischt. So blieb eine frustrierte mittlere Führungsebene zurück.

Im anderen Fall hat eine Werksleitung recht machiavellisch regiert. Mitarbeiter mit Potenzial wanderten ab. Ja-Sager blieben zurück. Frustrierte Ehemalige haben ihren Unmut auf Kununu kundgetan.

Ein neues Phänomen wird sichtbar. Eine kritische Masse der Abgänge ist erreicht. Was bedeutet das konkret? Vor wenigen Jahren waren Kündigungen von Mitarbeiterseite die Ausnahme. Demotivierende Rahmenbedingungen wurden als Normalität angesehen mit denen es zu leben galt.

Nun wird – teils, und vor allem in Unternehmen mit einer wenig wertschätzenden Kultur – eine Massenabwanderung sichtbar. Es handelt sich um eine sich selbst verstärkende Bewegung. Der erste Mitarbeiter aus dem Team kündigt. Alle sind schockiert. Er hält Kontakt zu den früheren Kollegen und berichtet von einem Land in dem das Gras grüner und der Himmel blauer ist (die Objektivität der Wahrnehmung lasse ich hier außer Betracht). Häufig hat der neue Arbeitgeber noch weitere Positionen vakant. Der Mitarbeiter wirbt weitere KollegInnen ab und die Verbliebenen sind fassungslos.

Es wird aber eines klar: Es gibt da draußen Alternativen. Und: diese sind gar nicht übel. Die Ex-Kollegen haben es überlebt. Sie erfahren nicht die Ärgernisse mit denen „wir“ uns herumquälen. Außerdem: Sie haben im Schnitt 15 Prozent mehr Gehalt verhandelt. Irgendwann erfolgt der Dammbruch. Wer nicht wechselt fragt sich was er falsch macht. Wer zurückbleibt kommt sich vor als „Verlierer“. Nun droht eine ernsthafte Gefahr für den Arbeitgeber.

Zunächst sind Unternehmen betroffen, die es als selbstverständlich ansahen, dass sie „am längeren Hebel“ saßen. Sollten sich die Mitarbeiter freuen, dass sie einen Job haben. Dieses Paradigma wird gerade jetzt über den Haufen geworfen. In der neuen Welt müssen sich die Firmen und Organisationen ihre Mitarbeiter „verdienen“ – und das geht schlecht mit Geld. Das Gehalt ist mittlerweile in allen Statistiken aus der Top-5 herausgerutscht. Dafür stehen jetzt folgende Themen ganz oben:

 

  1. Zeit für mich. Work-Life Integration. Flexible Arbeitszeiten. Home-Office. Autonome Arbeits- und Lebensgestaltung.
  2. Gute Führung. Angenehmes Arbeitsklima. Nette Kollegen. Mit Freude zur Arbeit gehen. Eine positive Betriebskultur.
  3. Wenn ich mein Leben einsetze, soll ich etwas davon haben, mehr als das Geld um meine Rechnungen zu bezahlen. Ich will verändert die Firma eines Tages verlassen. So will ich mich fortbilden aber auch durch meine Tätigkeiten und den Vorbildern dazu lernen.
  4. Etwas bewegen können. Integriert werden in Entscheidungsprozessen. Transparenz und Begründungen bei Beschlüssen.
  5. Das viel zitierte Wort. Wir arbeiten bis 67 oder 70. Somit wollen Mitarbeiter diese lange Spanne nicht mit irgendeiner Tätigkeit verbringen.

 

Die gute Nachricht für Unternehmer: Es ist möglich die Mitarbeiter zu halten. Mitarbeiterbindung gerät zu einer herausragenden Führungskompetenz. Die schlechte Nachricht für Arbeitgeber: Die Mitarbeiter sind mündig geworden und strafen eine schlechte Führung mit Verweigerung durch Kündigung ab.

„Is the grass always greener at the other side of the valley?“ Nein, natürlich nicht! Aber nachdem frustrierte Mitarbeiter Jahre wie das Kaninchen vor der Schlange gesessen haben und ein Weggang beim Arbeitgeber kategorisch ausgeschlossen haben, tut es der Qualität der Mitarbeiterführung gut dass sie nun selbstbewusst dorthin tendieren, wo ihren – zum großen Teil berechtigten – Bedürfnissen besser entsprochen werden.

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