Am vergangenen Freitag war es dann soweit. Die FAZ platzierte die Aussage des IT-Brancheverbandes prominent auf der ersten Seite des Wirtschaftsteils. Natürlich ist die Aussage nicht neu. Nicht in diesem Jahrhundert und nicht seit dem Begriff Produktion 4.0.
Ist sie aber richtig? Da wir – bekanntlich – immer nur die Vergangenheit kennen, aber nicht die Zukunft, ist die Behauptung grundsätzlich mit Unwägbarkeiten verbunden. In diesem Fall ist das Wort „spekulativ“ nicht unbegründet. Die Reaktion erfolgte sofort. Und die FAZ schrieb dann auch einen Tag später, am Samstag: „IT-Verband erregt mit Arbeitsplatz-Prognose Widerspruch“.
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Martin Wansleben warnte: „Es sei gefährlich, falsche Signale auszusenden“. Derzeit trennen sich die Geister wohl kaum mehr an einem Wirtschaftsthema als bei der Frage nach den Konsequenzen der Digitalisierung.
Das eine Lager führt genüsslich die Berufe auf, die in den kommenden Jahren wegfallen werden. LKW- und Taxifahrer sind betroffen, Telefonverkäufer und Schreibkräfte. Dazu Rechtsanwaltsgehilfen, Briefträger, ja jede zweite Stelle in Deutschland. Ein bedingungsloses Grundeinkommen von tausend Euro pro Monat ist der Ausweg. Finnland sammelt bereits Erfahrungen.
Nun ist es gewiss nicht das erste Mal in der Geschichte, dass dieses Thema die Gemüter erhitzt! Bereits der Wirtschaftssoziologe Warner Bloomberg verfasste 1955 seine Studie „The Age of Automation“ und schürte Ängste. Er zitierte den Wirtschaftshistoriker Gabriel Kolko (FAZ vom 26. Mai 2017 – Caspar Hirschi) der meinte, die automatisierungsbedingte Arbeitslosigkeit werde „sehr groß von Dauer und absolut beispiellos im Ausmaß ihrer Wirkungen sein“. Das Parlament hielt damals eine 30-Stunden-Woche als prüfenswerte Option um einer Dauerarbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Es folgten zwei Jahrzehnte der Vollbeschäftigung.
Natürlich ist es legitim, zu behaupten, dass diesmal alles anders sein wird. Derzeit haben Unternehmen aber andere Sorgen. Die Zahl der Erwerbstätige steigt an auf 45 Millionen. Stellen bleiben länger unbesetzt. Vollbeschäftigung ist eine Realität in mehreren Bundesländern und vielen Landkreisen. Und die Situation wird nicht besser für Arbeitgeber.
Der demographische Wandel ist an dem Punkt angekommen dem täglich zweimal mehr Babyboomer den Arbeitsprozess verlassen als „von unten“ aus der Bevölkerungspyramide nachkommen. Dieses wird sich natürlich eines Tages „normalisieren“ wenn der „Wasserkopf“ der starken Geburtsjahrgänge aus der Pyramide „herausgewachsen“ ist. Kurzfristig bedeutet dieses aber, dass bis zum Jahr 2025 – und dieser Zeitraum ist überschaubar – 5,5 Mio. potenzielle Arbeitskräfte aus dem Arbeitsprozess ausscheiden werden. Es sind dann noch 38 Mio. übrig. Diese Zahl kann noch ein wenig variieren auf Grund der Einwanderer.
Die Optimisten meinen, dass die Automatisierung eine Chance für Deutschlands ist. Es gäbe ohnehin nicht mehr ausreichend Arbeitskräfte für die entstandenen Vakanzen. Die vergangen 60 Jahre sind durch die Automatisierung in der Tat jeweils Arbeitsplätze obsolet geworden. Und ja, das war ein Schicksalsschlag für die betroffenen Mitarbeiter. Diese haben häufig einen anderen Job gefunden, der meistens schlechter bezahlt war. Das ist nicht zu unterschätzen. Gleichzeitig entstanden – bisher – viele neue Arbeitsstellen, die den Verlust ausgeglichen und neue Arbeit haben entstehen lassen.
Derzeit übersteigt, lt. Eddie Obeng, Professor an der Henley Business School, die exponentielle Entwicklung der vorhandenen Information die Verarbeitungsgeschwindigkeit der Menschen. Damit wäre nicht die Arbeit der Engpass, sondern der Mensch, der sich von der Vergangenheit verabschieden und sich jeweils selbst neu erfinden muss.