Das umgekehrte Vorstellungsgespräch

Gestern bin ich nach Remscheid gefahren. Eine Dame, die ich im Outplacementverfahren begleitete, hatte eine neue Stelle gefunden. Das Onboarding war halb vorbei. Wir wollten nun noch gemeinsam feiern. So saßen wir bei hoch sommerlichen Temperaturen draußen beim Italiener.

Sie hatte am Rande immer von ihrem Mann erzählt, den ich nun bei dieser Gelegenheit kennenlernte. Er erzählte wie er vor 25+ Jahren bei seinem derzeitigen Arbeitgeber angefangen hatte. Er erinnerte sich noch an das damalige Bewerbungsgespräch. Sein Chef erzählte – so seine Darstellung – zwei Stunden über seine Kinder. Anschließend war er eingestellt! Er meinte zu mir, dass er wohl mit seiner Zuhörkompetenz überzeugt hätte.

Diese Geschichte ist weniger selten als wir annehmen. Ich selbst wurde nach drei Gesprächen bei einem Arbeitgeber angestellt. Das erste war nur mit der Personalleiterin als erster Filter. Ich kam mit einer aufrichtigen Haltung von Interesse. Sie beantwortete meine Fragen und nach ca. einer Stunde hatte ich fast ein schlechtes Gewissen, da sie nur zu Wort gekommen war. Gleichwohl wollte ich den natürlich „Flow“ nicht unterbrechen – und am Ende dieses Interviews meinte sie dass ich erfahren würde, ob mit einer nächsten Runde weiter ging.

Das zweite Gespräch war mit meiner direkten vorgesetzten Stelle. Wir hatten beide in München gewohnt und fühlten uns am Niederrhein etwas „heimatlos“. Es war eine hohe Identifikation vorhanden. Diese Person war wohl „gebrieft“, dass ich für die Stelle geeignet wäre, denn über fachliche Themen haben wir uns nicht unterhalten. Fast gewann ich den Eindruck, dass diese Person nichts hören wollte, was sie von ihrer vorgefertigten Meinung hätte abbringen können

Das dritte und letzte Gespräch fand im Ausland mit dem Vice President, einem Landsmann statt. Dieser hatte ein Faible für Miniatur-Feuerwehrautos die er in einem Vitrineschrank in seinem Büro ausstellte. Als Gag hatte er sich einen echten Zugwaggon gekauft, diesen auf Schienen auf dem Firmengelände geparkt und ihn als Konferenzraum deklariert. Unbrauchbar, denn im Sommer war der Ort zu heiß, im Winter zu kalt. Wir haben beide gelacht – und er war sichtlich froh, dass ein Niederländer die Position in Deutschland erhalten würde. Fachlich haben uns mit keiner Silbe ausgetauscht.

Die Soziologin Lauren Rivera hat (nachdem sie bei mehreren hundert Interviews gegenwärtig war) festgestellt, dass häufig der Small-Talk ausschlaggebend war. Hatten Bewerber und Chef an der gleichen Uni studiert? Das gleiche Fach? Gingen beide dem gleichen Hobby nach?

Ein Ägypter den ich in der Beratung betreute, fand einen neuen Job weil der den gleichen Nachnamen hatte wie der Tennislehrer seines künftigen Chefs. Außerdem wiesen sie die gleiche fachliche Spezialisierung vor.

Nun kann mein seinen Namen im Vorstellungsgespräch natürlich nicht anpassen. Auch ist man wohl schlecht beraten, sich nicht auf ein Gespräch vorzubereiten. Auch führt eine Strategie von Fragen-Stellen sicherlich nicht zum Erfolg. Gleichwohl ist eine Haltung von Empathie keine schlechte Grundlage für ein Job-Interview. Und wenn das Gegenüber dabei vergisst, den Scheinwerfer auf den Kandidaten zu richten, muss dieses offensichtlich keine negativen Konsequenzen haben.