Erste Woche – Liegengebliebenes aufarbeiten
In der ersten Woche haben es (fast) alle, die ins Home-Office verbannt wurden, genossen. Für viele fühlte es sich – natürlich je nach Arbeitsanfall – wie eine „geschenkte Zeit“ an, in der Liegengebliebenes aufgearbeitet werden konnte. Manche kamen wieder zum Nachdenken. In der Distanz war es einfacher, Strategien zu entwickeln. Auch privat appellierten Aufgaben, die erledigt werden wollten. Dazu kam das – überwiegend – schöne Wetter. Keine Strafe, für niemanden.
Zweite Woche – Neigungen spielen eine wichtige Rolle
Das sah in der zweiten Woche schon anders aus. Natürlich spielten Hintergrundgeräusche eine Rolle. Waren Kinder zu Hause? Fanden sich diese mit der Situation zurecht? Wieviel Betreuung benötigten sie? Auch Beziehungen kamen auf den Prüfstand. Wer in der Vergangenheit gern mehr Zeit mit dem Partner verbracht hätte, freute sich über dieses ungeahnte Geschenk. Wer sich lieber aus dem Weg ging, wurde nun mit harten Realitäten konfrontiert.
Vor allem litten die extrovertierten Personen. Sie schöpften ihre Energie aus dem Zusammensein mit anderen Menschen. Im Home-Office gab es nicht länger Anerkennung für Präsentationen. Die Workshops waren passé. Moderationen und Trainings lagen auf Eis. Ein Austausch in der Kantine war nicht länger gegeben. Einfach herumlaufen und ein bisschen quatschen mit den Kollegen gehörte der Vergangenheit an. Es gab wohl noch genug Arbeit, aber wenig Motivation diese anzupacken.
Ganz anders die Introvertierten. Für sie „fühlte sich die Welt das erste Mal richtig an“. Weniger Hektik. Konzentriert arbeiten. Keine Ablenkung. Auch die Welt „draußen“ hatte plötzlich einen angenehmen Rhythmus. Rücksichtnahme, nicht so viele Menschen, ein reduziertes Angebot. Diese Gruppe vermisste nicht das Kino, das Fitness-Training oder die Shopping-Center. Vielfach wurde mir zaghaft gesagt, wie sehr diese Gruppe die neue Realität schätzte. Selbstverständlich mit einer hohen Identifikation für alle die direkt vom Virus betroffen waren.
Dritte Woche – Neue Kompetenzen entwickeln
Dann kam die dritte Woche. Die Introvertierten konnten sich immer besser mit der Situation anfreunden. Voraussetzung; Die neuen Abläufe waren klar und Sicherheit gegeben.
Die andere Gruppe sehnte sich nur nach dem Ende der Krise. Der Gedanke, dass diese Tagesgestaltung möglicherweise nochmals drei Wochen so weiter gehen konnte, erschien schier unerträglich. Dennoch reagierten diese Personen unterschiedlich:
- Auflehnung
Von einer Seite erhielt ich Signale „dass die Maßnahmen übertrieben wären“, es Zeit wäre, dass die Krise „endlich zu Ende wäre, damit ich wieder normal arbeiten könnte…“. Diese Personen waren im Schock stecken geblieben, der sich höchstens zu Angst oder Ablehnung gewandelt hat.
2. Neue Kompetenzen entwickeln
Andere waren intrinsisch genau so wenig motiviert, haben aber den Ausgleich darin gesucht, dass sie neue Kompetenzen entwickelt haben. Manche haben inhaltlich mehr erarbeitet. Häufig indem sie mit anderen Tools unterwegs waren. Manchmal ganz pragmatisch, indem eigene Powerpoints erstellt wurden, Videos aufgenommen, Kommunikationssoftware erforscht.
Ich hörte gerade, dass Fernstudien und sonstige autodidaktische Instrumente einen hohen Zulauf haben.
Vierte Woche – Belebung durch Werte
Nachdem die Unausweichlichkeit der Begrenzung klar wurde, traten für manche die Werte stärker in den Vordergrund:
- Anderen helfen mit fachlichen Kompetenzen
- Im Bekanntenkreis unterstützen mit Einkaufen
- Neue Wege der Kommunikation suchen und Kontakte halten mit Menschen die stark unter der Isolation leiden
- Eine neue Achtsamkeit für sich selbst und andere entwickeln und dem eigenen Körper Gutes tun (z.B. Workouts)
- Das Positive in der Krise sehen und neue Gewohnheiten verankern
- Nachdenken über das eigene Konsumverhalten und sinnvolle Änderungen integrieren
- Freude an einer gewissen Gleichstellung finden
- Die Natur neu entdecken
- Erfüllung daran erleben, das Leben anders zu gestalten
Mehrere Personen in meinem Umkreis schöpften Stärke daraus, dass sie einen neuen Lebensstil mit anderen Tugenden im Mittelpunkt lebten.
Fünfte Woche – Vom Tun ins Sein
Die vergangene Woche war für viele dann doch nervig. „Ich kann ZOOM-Meetings nicht mehr sehen“. Tief verankert lag die Frage: „Was ist mein Selbstwertgefühl, wenn ich nicht (länger) die Leistung erbringen kann, die mir vorschwebt?“ Für viele war es wirklich unmöglich, weiterhin in ihren Kernkompetenzen tätig zu sein. Je länger die Situation andauerte umso mehr stellte sich die Frage nach dem Frieden mit sich selbst. „Wert durch Leistung“ wurde ein wackeliges Prinzip. Natürlich leben wir in einer Umgebung, die von uns Leistung verlangt. Gleichzeitig ist es gut, dass wir uns selbst in diesem Prozess beobachten.
Vielleicht haben wir plötzlich mehr Verständnis für den Kollegen der aus der Bahn geworfen wurde. Ein Burnout, eine Scheidung, oder Kinder die sich problematisch entwickeln, kann viele treffen. Vielleicht ist das Gefühl, nicht mehr funktionieren zu können, wie wir wollen ein Geschenk. Wer damit heute den Umgang lernt, hat später einen Vorsprung.
Ein Gespräch mit älteren Leuten offenbart, dass das Leben in den meisten Fällen nicht einfacher wird. Anspruch an sich selbst und das Leben klafft häufig mit der erlebten Wirklichkeit auseinander. Wohl dem, der davon nicht überrascht wird. Corona kann ein Lehrmeister sein, wie wir vom Tun ins Sein kommen und damit nicht nur versöhnt sind, sondern sogar Dankbarkeit empfinden.