Warum bekomme ich keinen Job?

Die vergangene Woche gab es einen interessanten Beitrag im SPIEGEL Online.

Die Fragestellung war nicht neu – die Antwort der Karriereberaterin überraschte.

Zunächst zur Geschichte eines kompetenten Bewerbers. Alter gut, Profil qualifiziert, schreibt viele Bewerbungen und erhält keinen Job.

Solche Erfahrungen von Kandidaten sind nicht neu. Noch immer bin ich etwas erstaunt dass in den Reaktionen der Eindruck geweckt wird, dass es sich bei Bewerbungen um „harte vergleichbare Fakten“ handeln würde.

Beim Autoverkauf kann davon vielleicht die Rede sein. Wenn zweimal ein Golf Baujahr 2011 mit gleicher Ausstattung und identischer Kilometerleistung angeboten wird, wäre es erstaunlich, dass derjenige der 3.000 Euro mehr kostet zunächst verkauft wird – vor allem wenn die Anzeigen nebeneinander abgebildet sind.

Aber der Vergleich hinkt gewaltig:

1. Wie wird Qualifikation gemessen?

Ist Qualifikation die Summe von Ausbildung, Notendurchschnitt, bekleideten Positionen, Entwicklung? Spielt das Gehalt eine Rolle? Die Anzahl der Arbeitgeber? Die Soft Skills?

Ziemlich rasch wird die Fragestellung komplex und erhalten wir wohl unterschiedliche Antworten!

2. Qualifikation liegt – auch – im Auge des Betrachters

Der Betriebsleiter für nicht-medizinische Dienstleistungen im Krankenhaus mit Verantwortung für den Patiententransport, den Fahrdienst, die Küche und die Reinigungsmitarbeitern hat vielleicht 500 Mitarbeiter zu führen. Hier kann ein BWL-Studium hilfreich sein – aber auch ein Background im Catering. Die wichtigste Kompetenz ist vielleicht der Umgang mit einer großen Anzahl Mitarbeiter aus verschiedenen Kulturen und Hintergründen.

3. Wahrgenommene Kompetenz

Sein und Schein. Manche sind wahrlich „Heroes“, können sich aber nicht verkaufen. Andere sind deutlich weniger „qualifiziert“, erhalten aber  – auf Grund von professionellen Unterlagen und dem persönlichen Auftritt –zunächst Einladungen zum Interview und werden eingestellt. Bewerben ist also auch „werben“ in eigener Angelegenheit.

4. Reaktion auf ausgeschriebene Stellen

Früher galt es, nicht zu rasch zu reagieren. Der Eindruck sollte geweckt werden, dass die Unterlagen „spezifisch“ für den Arbeitgeber angefertigt wurden. Diejenige die ihre Unterlagen sofort fertig hatten, waren nicht die „guten“ Kandidaten. Die „besten“ Papierbewerbungen trafen immer erst nach sieben bis 10 Tagen ein.

Die Zeiten haben sich geändert. Der Mittelständler ist schlicht überfordert mit der Anzahl der E-Mail Reaktionen. Viele laden drei bis fünf Kandidaten aus den ersten Zusendungen ein und ignorieren spätere Bewerbungen.

In diesem erwähnten Fall hat der Bewerber aber – offensichtlich – kaum einen Grund zum Klagen. Er erhält eine Einladung zum Vorstellungsgespräch auf jede 10. Bewerbung. Dieses deckt sich mit dem üblichen Durchschnitt. Also alles okay? Auf 161 Bewerbungen sind es immerhin 16 Einladungen zum Interview.

Wer aber aus 16 Gespräche kein Vertragsangebot erhält, hat ein anderes Problem. In der Beschreibung des SPIEGEL heißt es: „161 Bewerbungen blieben erfolglos.“ Die richtige Aussage sollte aus meiner Sicht lauten: „16 Interviews bleiben erfolglos“ Denn die Bewerbungen waren erfolgreich – sie dienen doch lediglich dazu, zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden.

Wenn der Kandidat dann wirklich ein „absoluter Top-Kandidat“ war vermochte er davon offensichtlich nicht zu überzeugen. Es fällt mir schwer, 16 Arbeitgeber zu unterstellen, dass diese einen herausragenden Bewerber nicht einstellen wollten. Es macht wohl eher Sinn, die Ursache für die Nicht-Überzeugung im Interview beim Kandidaten zu suchen. Hätte die Autorin des Beitrags – die ich übrigens sehr schätze – selbst mit dem Bewerber zum Interview  gehen können, hätte sie die Ursache dafür wahrscheinlich aus der Beobachtung identifiziert.

21.06.2015