Versandkuvert

Das Versandkuvert wird von der Sekretärin geöffnet. Sie nimmt die Bewerbungsunterlagen heraus und wirft den Umschlag weg …

Ein Irrtum!

Der Bewerber empfindet die Erstellung der Bewerbung als große Herausforderung. Er sieht das Unternehmen in der „glücklichen Lage“, dass es aus dem Vollen schöpfen kann. Aber für Unternehmen sind Stellenanzeigen eine Art „Kaltakquisition“, wenn aufgrund einer Ausschreibung 50 Bewerbungen eintreffen, muss die Personalabteilung zunächst selektieren. Welche Kandidaten werden nicht weiter berücksichtigt? Wer kommt vielleicht infrage? Und welche Unterlagen machen einen hervorragenden Eindruck?

Häufig meinen Bewerber, dass Erfolgschancen nur mit der fachlichen Qualifikation zusammenhängen. Wie diese vermittelt wird, ist von weniger Bedeutung. Hier liegt ein Missverständnis vor. Einmal ist die berufliche Qualifikation nicht eindeutig messbar. Zweitens wird eine Bewerbung immer ganzheitlich betrachtet. Nicht nur die Qualifikation und vergangene Erfolge zählen. Auch die Persönlichkeit des Bewerbers und der Sympathiefaktor spielen eine Rolle. Wie werden diese aber „gemessen“ oder wahrgenommen?

In Realität ist die Bewerbung eine erste Arbeitsprobe! Nachdem das Unternehmen wenig Anhaltspunkte für die Bewertung der Unterlagen hat, spielen alle Aspekte der Bewerbung eine bedeutende Rolle. Wie verhält sich das nun mit dem Versandkuvert? Es ist eine Tatsache, dass sich der Mensch emotional viel schneller festlegt als rational. Wir bemerken dieses täglich in Begegnungen mit neuen Personen, mit Eindrücken, die wir in Läden gewinnen, die wir das erste Mal betreten oder mit Gefühlen, die wir beim Anschauen neuer Automodelle bekommen. Längst bevor wir unsere Meinung rational artikulieren können, haben wir uns bereits emotional festgelegt! Das gleiche Muster läuft bei der Auswertung von Bewerbungsunterlagen ab.

Der Personalleiter (oder sonstige Entscheidungsträger) hat das Versandkuvert in der Hand. Dieses ist die erste Begegnung mit dem Bewerber! Was der Versandhandel weiß, nämlich, dass der erste Eindruck zählt (und es keine zweite Chance zum ersten Eindruck gibt), ist vielen Bewerbern unbekannt. Bei der Durchführung von Unterlagenchecks bitte ich immer, dass mir die Unterlagen in der Form zugeschickt werden, wie sie auch bei Bewerbungen eingesetzt werden. Das Ergebnis ist häufig haarsträubend. Als ich in einem ganz schlimmen Fall einer Bewerberin (Redakteurin) ein Digitalbild ihres nun zerlöcherten, verschmierten und gefalteten Umschlags zuschickte, erhielt ich folgende Reaktion: „Auf die Idee, dass ein Kuvert derart bei jemandem ankommt, bin ich ehrlich gesagt, noch gar nicht gekommen und es sagt einem auch sonst keiner. Wie naiv nach all den Jahren in der Redaktion mit täglich Bergen von Post …! Danke für Ihre offenen Worte in jeder Hinsicht …“

Und ausgerechnet am heutigen Tag, an dem ich diese Kolumne verfasse, erhalte ich die Unterlagen einer promovierten Führungskraft. Ich musste ihn wirklich überzeugen, mir die Unterlagen in Papierform zuzusenden. Das braune Kuvert, mit der Hand beschriftet kam geöffnet bei mir an. Ich bin somit nicht in der Lage festzustellen, ob die Unterlagen noch vollständig sind. Emotional habe ich mich bereits festgelegt, auch wenn ich die Unterlagen noch nicht in der Hand hatte. Gedanken, wie „sehr viel Wert hat er nicht darauf gelegt, dass die Unterlagen mich als Empfänger in gutem Zustand erreichen“ gehen mir durch den Kopf. Wie möchte er einen potenziellen Arbeitgeber davon überzeugen, dass es ihm bedeutend ist, bei dem Unternehmen angestellt zu werden?

Konkret zum Versandkuvert:

Farbe. Meine Söhne (8 und 10) haben immer die Neigung auf braunen Kuverts herum zu malen, da sie diese als „Schmierpapier“ betrachten. In der Tat wirken weiße Kuverts deutlich hochwertiger. Vom Thema „Wertanmutung“ (und vom Kuvert wird auf den Bewerber geschlossen) kann nur zu weißen Kuverts geraten werden.

Empfängeradresse. Diesbezüglich habe ich viele Varianten gesehen. Die Einfachste ist diese, das Kuvert manuell zu beschriften. Abgesehen davon, dass man der Post damit keinen Gefallen tut, sollte der potenzielle Arbeitgeber den Nachweis erhalten, dass der Bewerber im digitalen Zeitalter über andere Möglichkeiten verfügt. Viele greifen daher zur Option der Etiketten. Nicht sehr elegant ist das Aufkleben von weißen Aufklebern auf braunen Kuverts. Das befestigen von weißen Etiketten auf weißen Kuverts sieht schon mal besser aus. Vielfach ist es mit einem Aufkleber nicht getan, da der Bewerber es vorzieht, die Absenderadresse separat aufzukleben. Wenn die Etiketten dann noch relativ alt sind, ist nicht auszuschließen, dass diese sich (teilweise) lösen. Alles bereits geschehen! Die optimale Lösung ist sicherlich, dass Fensterkuverts eingesetzt werden.

Kartonrücken. Auch wenn einem die Bewerbung sehr wichtig ist, kann nicht vermieden werden, dass ein Kuvert auf dem Postweg gefaltet oder gequetscht wird. Es ist allerdings möglich, dem entgegen zu wirken, indem Kuverts mit einer Kartonrückwand verwendet werden. Diese sind aber teurer! Richtig, das ist aber kein Fehler. Denn auch in dieser Weise bringt der Bewerber zum Ausdruck, dass ihm etwas daran gelegen ist, dass die Unterlagen möglichst einwandfrei beim Empfänger eintreffen. Es gibt sie, die weißen Fensterkuverts mit Kartonrückwand, auch wenn sie nicht leicht zu finden sind!

Frankierung. Lieblos sind sicherlich die „Streifen“, auf denen der entsprechende Betrag aufgedruckt ist. Entsprechend flüchtig und unauffällig ist der erste Eindruck dieser Bewerbungen. Nur geringfügig besser sind die Standard- oder Automatenmarken. Mit Sondermarken hebt man sich schon ab. Nachdem auch die Sondermarken nicht mehr das sind, was sie einmal waren, wird das selbstklebende Markenset „Deutscher Musikrat“ kaum als aufwertend wahrgenommen. Eine Chance für den, der die Jagd auf die „richtigen Sondermarken“ eröffnet.

Tesa-Film. Wie gesagt, heute geschehen! Wenn man vermeiden möchte, dass ein Kuvert offen beim Empfänger eintrifft, sollte man es zukleben. Daraus wird geschlossen, dass der Bewerber über eine vorausschauende Arbeitsweise verfügt.

Ein schönes Versandkuvert kann keine schlechten Unterlagen wettmachen. Umgekehrt kann es so sein, dass gute Unterlagen in einem schlechten Kuvert keine weitere Aufmerksamkeit erhalten. Immer mehr Personalleiter wünschen sich, zusammen mit den Unterlagen auch das Versandkuvert zu sehen. Ist der erste Eindruck positiv, wird der potenzielle Arbeitgeber weiterhin nach Indizien suchen, die das erste Gefühl bestätigen. Ist die Einstimmung negativ, wird der Betrachter diejenigen Kriterien aufgreifen, die seine anfängliche Emotion verstärken. Im Zeitalter der digitalen Bewerbungen bietet gerade die traditionelle Bewerbung vielfach die Möglichkeit, sich abzuheben und herauszuragen – wenn man sich die Mühe macht.

Vincent Zeylmans