1.1 Mio. Erwerbstätige gehen aktuell in Rente – 700.000 kommen nach: Gedanken über die Lücke von 400.000 Arbeitsplätzen

Was können wir der Rentendiskussion abgewinnen? Nun, im Jahr 1910 wurde die Demographie durch einen sauberen „Tannenbaum“ abgebildet.  Nach dem Muster: ein Hundertjähriger, zwei Neunundneunzigjährige, drei Achtundneunzigjährige und 100 Babys.

Nach dem ersten Weltkrieg zeigte das Bild Zacken und bekam weitere nach 1945. Anschließend nahm der Tannenbaum an der Wurzel wieder die Form an vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Bis 1965. Da folgte – bekanntlich – der Einbruch der Geburten. Der Pillenknick. Der Rest ist bekannt. Statt, dass sich die Basis verbreiterte und das demographische Gebilde „trug“, wurde der Sockel fragiler und zeichnete sich durch einen Wasserkopf aus. Andere redeten von einem Kleeblatt oder weniger elegant von einem Atompilz.

Unabhängig vom Namen war klar: „Die da unten“ können nicht länger für „jene oben“ sorgen. Heranwachsende Kinder werden irgendwann mit der Realität konfrontiert, dass der Staat ihre Rentenbeiträge nicht in einem Topf verwaltet oder anlegt, sondern dass diese der Generation zugutekommt, die nun aus dem Arbeitsprozess ausscheidet. Da dieser Betrag nicht ausreicht, wird er bezuschusst. Heute betragen die Steuerzuschüsse für die Rentenkasse ca. 100 Milliarden Euro und machen damit ein Viertel des Bundeshaushaltes aus. Zum Vergleich: Für Verteidigung 2020 sind 45 Milliarden Euro vorgesehen. Für Investitionen in Verkehrswege und Digitales 30 Milliarden.

Warum ein Zuschuss? Da das Ungleichgewicht der Rentendebatte lediglich vier Stellschrauben kennt:Länger arbeiten

  • Länger arbeiten

Die Bundesbank schlägt 69,3 Jahre vor. In Skandinavien wird von 70 Jahren gesprochen. In Deutschland bewegen wir uns auf die 67 Jahre zu. Andere Länder, wie Frankreich, haben die Grenze bei 62 Jahren angesetzt, gleichen den finanziellen Bedarf über die Steuern aus so dass die Staatsverschuldung u.a. deswegen mittlerweile ca. 100 Prozent vom BIP beträgt.

  • Höhere Rentenbeiträge

Heute sind es 18,6 Prozent. Ver.di-Chef Frank Bsirske hat sich dafür ausgesprochen, den Rentenbeitragssatz allmählich bis auf 26 Prozent anzuheben

  • Weniger Rente

Bereits im Zeitraum 1995 – 2007 wurde das Rentenversprechen 22 Prozent heruntergesetzt. So wurden die Spielregeln während des Spiels geändert. Die Babyboomer und vor allem die Generation X waren stark betroffen. Die letztere Gruppe wird auch aus diesem Grund als die „betrogene Generation“ betitelt.

  • Steuerzuschüsse

Wie oben bereits erwähnt. Jedoch ist dieses Gebilde nicht stabil. Dieser derzeitige Zustand geht von ca. 45 Mio. Erwerbstätigen aus, davon gut 33 Mio. Sozialversicherungspflichtige.  Die FAZ rechnet vor, diese verdienen im Schnitt 39.000 Euro im Jahr. Wenn sie es 44 Jahre hinbekommen, ein Durchschnittsgehalt zu beziehen, bringt das pro Beschäftigungsjahr 33 Euro Rente im Monat. Ein männlicher Durchschnittsrentner erhält heute gut 1.400 Euro, Frauen 800 Euro.

Die Instabilität der heutigen Rechnung hängt damit zusammen, dass aktuell der Jahrgang 1954 in Rente geht. Damals wurden gut 1,1 Millionen Menschen geboren. Weitere Jahrgänge in Millionengröße werden in den nächsten Jahren in die Rente folgen. Neu ins Berufsleben treten Jahr für Jahr aber nur Jahrgänge mit Größen zwischen 660.000 und 800.000 Personen.

Das ergibt jährlich eine Lücke von 400.000 Menschen die eine Stelle inne hatten welche rein rechnerisch nicht einfach nachbesetzt werden kann. Nicht umsonst zirkuliert die „magischen Zahl vierhundert tausend“ als Größenordnung für die benötigte Zuwanderung. Natürlich wird nicht jede Position neu besetzt. Die Automatisierung trägt zu einer erhöhten Produktivität bei – schafft andererseits wieder neue Arbeitsplätze. Wer diese Größenordnungen sieht, versteht, dass Arbeitgeber den Fachkräftemangel mit zunehmender Sorge und mittlerweile als größte Herausforderung sehen.

Gegen 400.000 Personen die sich jährlich netto aus dem Arbeitsprozess verabschieden, nehmen sich die tausend Arbeitsplätze die Miele, Evonik und Münchner Rück abbauen marginal an. Die gute Nachricht für Arbeitnehmer: Ihre Leistung wird – relativ gesehen – von Jahr zu Jahr wertvoller, da sie rarer wird.

Selbstverständlich kann dagegen gehalten werden, dass nicht alle Mitarbeiter oder Arbeitsuchende davon in gleichem Maß profitieren. Das ist eine andere Geschichte. Dieser Aspekt der Arbeitsmarktentwicklung kann Arbeitnehmer aber zunächst zuversichtlich stimmen.