Ambivalenz am Arbeitsmarkt: Erhöhter Mitarbeiterbedarf in einer schwächelnden Konjunktur

Deutschlands Wirtschaft ist derzeit Mittelmaß. Im besten Fall. Viele Experten sehen die Verantwortung bei der Politik. Bürokratie. Fokus auf Themen die nicht als Priorität wahrgenommen werden. Fragwürdige Anreize. Keine Nachhaltigkeit in den Entscheidungen. Die Identifikation der Bürger mit ihren Vertretern sinkt rapide.

In der Vergangenheit hat sich Deutschland häufig pessimistisch, kritisch und besorgt geäußert. Am Ende stand die Bundesrepublik in diesem Jahrtausend aber fast immer besser da als ihre Nachbarländer. Sei es Dotcomblase oder Finanzkrise. Wir kamen mit einem blauen Auge davon. Auch wenn die politischen Meinungen auseinander gingen, fühlten viele sich – auch und gerade Europäisch – in der Ära Merkel adäquat vertreten.

Der Geschäftsklimaindex ist zum dritten Mal hintereinander gefallen. Im Gegensatz zu anderen Ländern bekommen wir die Inflation nur mühsam in den Griff. In diesem Geschäftsklima wäre es realistisch, ein Zurückhalten bei Personaleinstellungen am Arbeitsmarkt zu sehen. Dieses ist jedoch kaum der Fall. Es wäre allerdings nicht richtig, die Suche nach qualifizierten Mitarbeitenden mit Optimismus gleichzusetzen. Die Demographie schlägt Löcher in den Personalbestand, die – zumindest teils – ersetzt werden müssen. Die Digitalisierung lindert, löst aber nicht alle Herausforderungen, sagen wir mal „zum Glück“…

Angebot & Nachfrage

Da die Prinzipien von Angebot und Nachfrage in allem weiterhin Bestand haben, zeigt sich derzeit eine verzerrte Situation. In einem gesunden wirtschaftlichen Umfeld wäre es normal, dass der Bedarf nach Mitarbeitern entsprechend anspruchsvoller honoriert werden sollte. Nach dem Motto: Wer expandieren will, muss dafür auch den Preis bezahlen.

Die Realität ist allerdings, dass Unternehmen in einer unüberschaubaren konjunkturellen Situation schlichtweg versuchen zu überleben. Dabei stoßen sie auf potenzielle Mitarbeiter, die ihre Macht verstanden haben. Wer soll es ihnen verübeln, dass sie ihre neu gewonnene Durchsetzungsfähigkeit ausleben? Arbeitgeber saßen Jahrzehnte am längeren Hebel und waren vielfach auch nicht zimperlich, diese Überlegenheit auszuspielen.

Wenn die Schere zu weit auseinander geht, gibt es nur Verlierer

Die Konstellation, welche derzeit sichtbar ist, ruft Dissonanzen hervor. Arbeitgeber sehen sich vor einem „Friss oder stirb“. Ich höre öfters die Frage: „Was raten Sie? Wenn wir schon im Vorfeld ein schlechtes Gefühl bei einem neuen Mitarbeiter haben, sollen wir es dennoch versuchen? Eigentlich sagen wir >> nein <<. Das bedeutet aber, dass die anderen Mitarbeitende die Last zu tragen haben, krank werden und dadurch eine Abwärtsspirale entsteht.“

So geben Unternehmen zähneknirschend nach und fühlen sich quasi erpresst. Mit Home-Office, Teilzeit, unbezahltem Urlaub, Sabbaticals, Gehaltserhöhungen, Ausnahmereglungen. Das ist alles nicht nur schlecht. Zu lange war es sehr bequem für die Arbeitgeber den Status Quo beizubehalten.

Auf der anderen Seite strömt eine Generation Y & Z ins Berufsleben, die sich hofiert sieht. Das ist angenehm und sei jedem gegönnt. Gleichzeitig ist es realistisch, dass eine Grundleistung für ein Einkommen erbracht werden soll. Wenn die Schere zu weit auseinander geht, gibt es nur Verlierer.

Die Top-Ranking Arbeitgeber tun sich noch leichter, den Leistungsanspruch hochzuhalten. Unbekannte Mittelständler abseits der Metropolen fällt das schon schwerer. Das Karussell dreht sich immer schneller. Junge Mitarbeiter wechseln häufig alle zwei bis drei Jahre und erzielen dabei nicht unerhebliche Gehaltssteigerungen.

Zwei Herzen in einer Brust bei der neuen Arbeitsmarktsituation

Auch meiner Sicht als Karriere-Coach kann ich mich für meine Klienten nur freuen. Viele spüren einen Rückenwind, der sie überrascht. Sie taumeln freudevoll ins vermeintliche Glück.

Als Privatperson bin ich weniger euphorisch. Auf die Gefahr hin, dass es sich nach „alter Schule“ anhört, meine ich „dass Geld verdient werden muss“ und dieses derzeit nicht überall sichtbar ist.

Ich bin allerdings auch Optimist. Wenn es wirklich eng wird, hat der Mensch häufig kreative Lösungen gefunden. Vielleicht ist auch diesmal eine Synthese möglich, welche die empfundenen Bedürfnisse einer neuen Generation respektiert ohne die wirtschaftlichen Erfordernisse der Unternehmen außer Kraft zu setzen!