Arbeitszeugnisse – die Kirche im Dorf lassen

Nun ist die Berichterstattung erneut aufgeflammt, welche immer wieder die Sensationslust befriedigt. Sensation? Vor Gericht wurde doch bescheinigt, dass das Wörtchen „stets“ über die Zeugnis-Note 2 oder 3 oder entscheiden kann.

Arbeitgeber sind alle konspirativ, meinen es böse – und auch wenn ein Zeugnis noch so positiv formuliert ist, soll der Arbeitnehmer immer schauen, was der Chef eigentlich sagen wollte. Könnte man meinen.

Die Realität sieht möglicherweise harmloser aus.

99,7% aller Unternehmen sind nach deutscher Definition als Mittelstand zu betrachten (weniger als 250 Mitarbeiter beschäftigt). In diesen mittelständischen Unternehmen sind 65,9% aller sozialversicherungspflichtige Beschäftigte angestellt. Noch konkreter: 89,5% aller deutschen Unternehmen sind Kleinstunternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitern.

In den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) ist der Chef vielleicht ein Techniker, ein Händler, z.B. jemand mit einer Expertise auf dem Gebiet von Brandschutz, der noch einen Mitarbeiter beschäftigt.

Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es hier nicht um Juristen oder Personen mit einer Expertise auf dem Gebiet von Personalrecht. Hier ist der kleine Lackierer zu finden, der ehemalige Meister der sein Erbe in eine Metallpresse investiert hat, der KFZ-Mechaniker der Autos aufbereitet oder auch der selbständige Franchisenehmer.

Wenn diese Firmen-Inhaber Personal beschäftigten, war es für sie immer ein Krampf, ein Arbeitszeugnis zu erstellen. Gut gemeint – und schlecht gemacht (durch die juristische Brille) war oft die Devise. Glücklicherweise konnten die Empfänger der Zeugnisse den Inhalt recht gut interpretieren. Wenn der Gemüsehändler auf der Ecke seinem Lageristen und Assistenten ein Zeugnis ausgestellt hat, war dieses häufig authentischer und aussagefähiger als die Urkunden von SIEMENS oder der Lufthansa.

Naturgemäß sah die Welt der Konzerne (hier reden wir von 0,3% der Unternehmen in denen 34% der Deutschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind) anders aus. Hier wird – legitim – vorausgesetzt, dass der Arbeitgeber weiß was dieser schreibt, und es hier keine „Zufälle“ gibt oder geben sollte. Auch das ist eine halbe Wahrheit – denn oft decken sich der Wunsch vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer darin, dass der Beschäftigte der ausscheidet selbst den Zeugnisentwurf erstellt. Ob sich dieser damit – erfahrungsgemäß – einen Gefallen tut, sei dahin gestellt.

Vor einiger Zeit erhielt ich einen Anruf von einem Bewerber. Vor 10 Jahren erhielt er ein Zeugnis mit der Aussage: „Aufgaben erledigte er zu unserer Zufriedenheit.“ Ihr war nur klar geworden, warum er keinen Job mehr finden würde. Gutes Zureden nützte nichts. Er war davon überzeugt, dass sein Karriere, sein Leben zerstört  war.

Die Thematik möchte ich nicht klein reden. Die Realität erscheint aber so zu sein, dass viele kleine Unternehmen die früher mit der Ausstellung eines Zeugnisses überfordert waren, nun gern auf Zeugnis-Erstellungssoftware zurückgreifen. Nun können Begriffe wie Auftreten, Vertrauenswürdigkeit, Eigeninitiative, Ausdauer und Identifikation zunächst mit einer Note versehen werden. Die Software spuckt dann die entsprechende Formulierung aus.

Die Gefahr der sich daraus resultierenden Seelenlosigkeit und Gleichförmigkeit der Zeugnisse erscheint mir wesentlich höher als die vermeintliche Geheimbotschaften die sich wohl eher im Promillebereich befinden.

27.11.2014