Mit einer nahezu irritierenden Hartnäckigkeit singen Autoren bei sozialen Netzwerken wie XING die Loblieder auf das Alter. Deutschland kann sich glücklich preisen, über so viele Babyboomer zu verfügen. In Zeiten des Fachkräftemangels ist dieses ein verlässliches Reservoir. Der Arbeitsmarkt sei „leergefegt“ was die Generation Y angeht. Diese Arbeitskräfte seien aber ohnehin nicht zuverlässig. Sie wechseln alle drei Jahre den Arbeitgeber, halten wenig von Loyalität und optimieren den eigenen Lebenslauf (heißt es). Ganz anders die „Ältere“. Sie werden noch von anderen Werten geprägt. Außerdem wären sie froh, einen Arbeitgeber zu finden bei dem sie in Rente gehen könnten.
Damit nicht genug, werden genüsslich weitere Vorteile aufgelistet. An erster Stelle natürlich die Berufserfahrung. Dazu kommt die Lebenserfahrung, die einen besseren Umgang mit Konflikten, einen kühlen Kopf in Stress-Situationen, sowie die Bereitschaft, Wissen weiterzugeben (da ohnehin keine „Karriere mehr gemacht werden muss) gelehrt hat.
Die andere Sichtweise
Soweit die Theorie. Die Reaktionen der Leser sind dann vorhersehbar. Es ist – fast ausnahmslos – die Generation 50 Plus, die eigene Erfahrungen mitteilt. Wie erwartet, sieht sie die gleichen Vorteile bei der möglichen Beschäftigung. Dann werden die Erlebnisse mit der Realität kundgetan. Früher ein Champion – aber nun, in der Wahrnehmung, zu alt, unflexibel, häufig krank, teuer, träge im Umgang mit neuer Technik und zu allem Überfluss abgehängt mit altem Wissen in einem schnelllebigen Arbeitsumfeld.
Tenor der Leser: Die Verfasser der Beiträge haben recht – aber die Adressaten (die eine Änderung bewirken könnten, wie Personalverantwortliche) fühlen sich offensichtlich nicht angesprochen. In der Tat ist es auffallend, dass sich selten oder nie ein Personalleiter zu dieser Thematik geäußert hat. Das ist mit unserer Gesetzgebung (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) auch wohl unmöglich, denn was vom Gesetzgeber gut gemeint war, hat als böse Folge, dass ein ehrliches Feedback seitens des Arbeitgebers nahezu unmöglich ist.
Die Spannung wird nicht aufgelöst
Die Spannung, die solche Artikel hervorruft, wird selten aufgelöst. Im Gegenteil: Ich sehe verhärtete Fronten. Einerseits die Senioren, die hunderte Bewerbungen geschrieben haben und sich schließlich für eine selbständige Tätigkeit entschließen mussten. Andererseits die Autoren, die sich offensichtlich in einem anderen Universum befinden und eine rosarote Welt malen, die jeglichen Praxisbezug entbehrt.
Ich will einen seltenen Versuch wagen, diese Welten zusammenzubringen. Zunächst sind beide obige Beobachtungen natürlich richtig. Wer 30 Jahre Berufserfahrung vorweist hat im besten Fall eine Expertise aufgebaut. Arbeitgeber sind gleichzeitig vorsichtig, diese Personen einzustellen. Wenn sie ausschließlich gute Erfahrungen gesammelt hätten, würden sie wohl mehr auf dieses Potenzial zurückgreifen. So hat die Zurückhaltung auch Gründe.
Ist die Lage aussichtslos?
Gleichzeitig ist die Lage nicht so aussichtslos wie sie häufig beschrieben und auch empfunden wird. Es gibt – und dieses möchte ich einfach aus der Beobachtung kundtun – Spezialisten wie Outplacementberater, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen, Mandanten zurück in ein Angestelltenverhältnis zu bringen. Die Dienstleistung ist vielfach nicht günstig, aber mit einem Erfolgsversprechen verbunden. Diese Personen haben somit ein nachvollziehbares Interesse daran, alle Erfolgsregister zu ziehen, denn sie sind so lange mit ihren Klienten verbunden, bis diese eine Unterschrift unter einem neuen Arbeitsvertrag geleistet haben.
Offensichtlich gehe diese andere Wege, als dass sich ihre Kandidaten „wahllos“ auf jede offene Position bewerben. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn die Überschneidung zu einem hohen Prozentsatz gegeben ist. Aber dann sollten die Vorteile (Kompetenzen, Erfolge) welche dafürsprechen, diesen Kandidaten einzustellen, aus den Unterlagen sichtbar werden.
Parallele Strategie
Es wäre aber vermessen, nur einen Weg zu gehen – vor allem den Ansatz, der am wenigsten beeinflusst werden kann (wie häufig wird schon die ideale Position ausgeschrieben?). So fällt recht rasch das Wort des verdeckten Arbeitsmarktes, auf dem ohnehin die meisten Positionen besetzt werden. Es gibt wohl knapp 100.000 Personalvermittler in Deutschland die Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammenbringen – und davon leben. Diese haben alle ihre Segmente, die sie bedienen: Alter, Branche, Funktion, Geografie und Hierarchie. Daher kann hier nicht mit der Gießkanne gearbeitet werden.
Ein weiteres Zauberwort ist das „Netzwerk“. Darunter kann aber nicht verstanden werden, dass jede Kontaktanfrage auf LinkedIn oder XING akzeptiert wird und es sich hier um einen tragfähigen Personenkreis handelt, der ein Fangnetz für schwierige Zeiten bilden würde.
Dann gibt es noch die Initiativbewerbung. Denn die Schwierigkeiten des Recruitings seitens des Arbeitgebers (die real sind!) gibt es spiegelbildlich für den Job-Suchenden. In Deutschland gibt es knapp vier Millionen Unternehmen. Wenn Solo- und Kleinstunternehmen außer Betracht gelassen werden, bleiben immerhin noch ca. 450.000 potenzielle Anlaufstellen übrig. Aber auch hier ist der natürlich gut beraten, der bei der entsprechenden Branche und Kultur anklopft, sich mit Produkten, Kunden, Aufgaben und Hierarchie auskennt.
Fazit
Die Personen in der Lebensmitte, die eine solche Vorgehensweise verfolgen, sind meist im Laufe der Zeit erfolgreich. Sie melden sich selten oder nicht auf die erwähnten Beiträge. Sie wollen nicht, dass sich die Frustrierten gegen sich kehren sie somit vor die Wölfe geworfen werden. Bewerber, die nach 200 Kontakten erfolglos geblieben sind, wollen nicht hören, dass es auch anders möglich gewesen wäre. Auch haben diejenige die mit Mitte 50 einen Job gefunden haben, anderes zu tun, als in den sozialen Netzwerken auf diese Berichterstattung zu reagieren. Letztlich sind sie – und hier verwende ich ein „beladenes“ Wort – demütig! Warum? Sie wissen, dass der Preis hoch war. Es war eine emotional herausfordernde Zeit. Die Assoziationen sind nicht nur positiv – auch wenn die Reise vom Erfolg gekrönt war. Sie wissen auch: Ein bisschen Glück ist immer dabei und sie würden sich ungern in die Position hineinmanövrieren, als Besserwisser den Zweiflern beweisen zu müssen, dass „sie recht haben“.