Mondflug, Meisterschaft & Mystik

Die Suche nach Orientierung

Aus den Science-Fiction Filmen kennen wir das Phänomen. Die Schwerkraft fehlt. Die Crew würde in der Raumstation umher schweben. Daher ähneln die Konstruktionen im All häufig einem Rad damit künstliche Bodenhaftung hervorgerufen wird. Sonst fehlt oben und unten und somit der Referenzrahmen.

Die Sonne geht auch nicht auf. Oder unter. Sie ist da. Die ganze Zeit. Deshalb wird in Filmen die Nacht künstlich herbeigeführt. Abgedunkelt. So kann die Besatzung den irdischen Biorhythmus zumindest teilweise beibehalten.

Je nachdem wohin das Raumschiff unterwegs ist, wird auch noch die Erde-Zeit eingeblendet. Denn diese läuft nicht synchron mit den Tagen, Monaten und Jahren die im All vergehen. Daher finden die Astronauten manchmal nach Rückkehr eine andere Erde vor als sie verlassen haben.

Die Monotonie der täglichen Routine

Als Vorbereitung auf diese Orientierungslosigkeit werden Aspiranten für Raumfahrtabenteuer auch im realen Leben manchmal lange in einem Container eingeschlossen in dem jeder Bezug zum gesellschaftlichen Leben fehlt. Wer das seelisch gut verkraftet, hat zumindest bei diesem Auswahlkriterium positiv abgeschnitten.

Wenn ich mich mit meiner Umgebung unterhalte, werden mir vergleichbare Emotionen gespiegelt. Die Tage gleichen sich. Die Orientierung geht verloren. Wir bewegen uns in einem kleinen Korridor von Aufwachen, Work-Out, vielleicht Einkaufen, vor dem Computer… Wir könnten die Mannschaft im Raumschiff sein, die ihre täglichen Handlungen verrichten. Aber von Vorweihnachtsfreude keine Spur.

Viele feiern das Fest nicht im gewohnten familiären Kreis. Ein Weihnachtsgottesdienst findet digital statt. Und die Aussicht auf die „ruhigen Tage“ zwischen Weihnachten und Silvester gleicht für eine große Schicht einem „Mehr vom Gleichen“, eine Fortsetzung der Routine (natürlich gibt es Millionen, die weiterhin „zur Arbeit gehen“, für die das Leben bei der Gesundheitsbehörde vielleicht noch stressiger geworden ist oder die im Home-Schooling an ihre Grenzen kommen).

Wir waren Helden – im Frühling

Die Berichte aus dem ersten Lockdown im Frühling waren vielfach positiv. Die ungeahnte Ruhe tat uns gut. Wir besannen uns auf das, was wirklich zählt. Es war möglich, Liegengebliebenes aufzuarbeiten, die Wohnung in Ordnung zu bringen, den Garten zu richten. Das Wetter war wunderbar. Wir erlangten neue digitale Kompetenzen. Die Pandemie schien zunehmend unter Kontrolle. Urlaub war doch möglich. Wir waren stolz darauf, die Helden zu sein, die durch Disziplin eine Seuche überwinden konnten wie die Menschheit sie die letzten 100 Jahre nicht mehr gesehen hatte.

Das Heldentum ist im zweiten Lockdown aber verblasst. Die Vorzeichen haben sich geändert. Die Tage sind kurz. Das Wetter kalt. Die Dunkelheit setzt früh ein. Perspektivisch wird uns die Pandemie zumindest noch einige Monate begleiten. Wir haben uns an ZOOM-Meetings & Co. satt gesehen. Wir erleben ein Déjà-Vu, diesmal aber ohne Pionier-Empfinden, Auftrieb und Motivation.

Meisterschaft

Die Realität ist, dass viele ihre Kompetenzen nicht ausleben können. Der Sterne-Koch darf keine Gerichte zubereiten. Der Dirigent steht – wenn überhaupt – sporadisch unter schwersten Bedingungen vorm Orchester. Fußball findet steril ohne Publikum statt. Veranstaltungen werden storniert. Kongresse, Theater, Kino. Der Animator auf dem Kreuzfahrtschiff oder im ClubMed hat kein Tätigkeitsfeld. Der Empfang im Hotel bleibt zu Hause. Der Flugkapitän macht sich über seine Zukunft ernsthaft Gedanken.

Einige finden digitale Wege, ihre Tätigkeit noch weiterhin auszuüben. Coaches beraten digital, Trainer greifen über MS-Teams auf Powerpoints zurück. Wenige sind damit glücklich. Wer sich bewusst für die Leidenschaft in einem Beruf entschieden hat, will den auch ausüben. Viele erfahren statt Meisterschaft nun Mittelmäßigkeit oder Müßiggang.

Umgang mit der Krise

Da sich COVID nicht ausschalten lässt, sind wir gezwungen, uns mit der Situation und somit mit uns selbst auseinanderzusetzen. Wir haben bemerkt, dass Frustration, Selbstmitleid oder Schuldzuweisungen die Situation nicht ändern.

„Magie“

Wenn diese Zeit etwas Gutes hat, dann u.a. die Möglichkeit zu reflektieren. Wir alle haben „magische Momente“ erlebt. Das Fußballspiel welches bei dem ein Rückstand von 0:4 in einen Sieg verwandelt wurde. Das Konzert das unsere Herzen berührte und in dem wir eine Verbundenheit mit tausenden anderen Besuchern erlebten. Der Film, der unsere Sicht auf die Natur des Menschen veränderte, der uns am Guten hat glauben lassen, am Machbaren. Das Buch, das fesselte und uns zu einer anderen Lebensweise inspirierte.

Diese Augenblicke sind kostbar – und flüchtig. In einer schnelllebigen Welt mit Informationsüberflutung verschwinden die Erlebnisse die uns berühren, verändern und Richtung geben. Wir nehmen uns vor, diese festzuhalten, aber der Alltag hat uns wieder im Griff. Vielleicht werden wir viele Jahre später erneut angesprochen und stellen fest, dass die Zeit wie Wasser durch unsere Finger geronnen ist und wir wieder am gleichen Punkt angekommen sind.

So ist Corona auch eine Chance, Tiefe nicht gleich mit Belanglosem zuzudecken. Wir können verweilen beim Unsichtbaren. Denn Gefühle, Erkenntnisse und emotionale Berührungen benötigen Zeit, damit sie verinnerlicht werden.

Mystik

Einen Schritt weiter geht die Mystik.

Sowie sich die Aufklärung der Rationalität verschreibt, erkennt die Mystik Erfahrungen an, die wissenschaftlich nicht objektivierbar sind.

Gleichwohl haben Millionen Menschen seit Jahrhunderten und Jahrtausenden die Lebensgestaltung und das Lebensglück unabhängig von den äußeren Umständen gesucht. Mönche, Pilger und solche die von einer Transzendenz berichten, fanden die Sinngebung in sich selbst oder in der Verbindung mit der Natur oder der Umgebung.

Christliche Spiritualität

Nachdem wir uns in der westlichen Hemisphäre Weihnachten nähern, ist es erlaubt, auch diesen Schritt zu gehen. Die Mystik bleibt Ich-bezogen, mit allen damit verbundenen inneren Stärken. Die christliche Spiritualität geht weiter, indem von „Wundern“ die Rede ist. Der Himmel berührt die Erde. Es werden Ereignisse beschrieben, die außerhalb des Menschen liegen. Diese können ignoriert werden. Auch vor zweitausend Jahren wurde die Person, nach der unsere Zeitrechnung ausgerichtet ist, unscheinbar geboren. Manchen wurde er zum Erlöser von eigenen Gedanken, Begrenzungen, Leiden. Andere haben keine Notiz von ihm genommen, ihn relativiert und in ihre Weltanschauung integriert.

Diese Tage laden ein, die Momente die uns angesprochen haben, ins Gedächtnis zu rufen. Was hat sich abgespielt? Warum waren wir berührt? Haben wir abends einen Blick auf die Sterne geworfen und die Unendlichkeit ins Gesicht geschaut? Spürten wir eine Resonanz in unserem Herzen, dass es „mehr“ gibt, als das was wir hören, sehen, fühlen können? Wollten wir uns – vielleicht vor Jahren – auf der Suche machen und schauen, ob unsere Sehnsucht von einer unsichtbaren Welt gestillt werden kann?

Dann machen wir es wie die Weisen, die einem Stern folgten. Oder wie die Hirten, die einer Einladung nachkamen. Wenn wir einen Blick auf den werfen können, den Weisen und Hirten sahen, verwandelt sich dieses Weihnachten, das sich trostlos wie der Stall präsentiert möglicherweise in das wichtigste Ereignis unseres Lebens! Die Hirten kehrten als Verwandelten zu ihren Herden zurück. Ein innerer Kompass ersetzt die Orientierungslosigkeit.