Weihnachtsgedanken über den Reichtum unseres Potenzials und die Überraschungen des Lebens

Wenn wir über 2018 nachdenken, kommen uns Bilder in den Sinn. Wer positiv über seine Zukunft nachdenkt, greift meistens auf seine besten Erlebnisse aus der Vergangenheit zurück. Das ist logisch, denn etwas anders kennen wir nicht. Gleichzeitig ist es begrenzend.

Das war nicht immer so. Als Kind waren wir gerade begeistert vom Unbekannten. Groß werden konnte nicht schnell genug gehen. Damit verbanden wir Erlebnisse die wir bis dahin nicht gesammelt hatten. Das Leben war ein Abenteuer.

Aufwachsen ist wie eine Waage. Jostein Gaarder beschreibt in seinem Buch „Sophies Welt“ die Realität, dass das Gewicht verlagert wird. Sind erste Jahre von einem Staunen geprägt, „wird die Welt uns zur Gewohnheit“ sagt er.

Schauen wir um uns herum, sind wir umgeben von Menschen, die wissen was möglich ist und was nicht. Da die Welt berechenbar wird, geht damit eine Enttäuschung her. Früher hatten wir große Pläne. Wir wollten verändern, einen Beitrag zu einer besseren Welt liefern, Geschichte schreiben.

Im Laufe der Jahre ersetzen wir Idealismus durch Naivität, Hoffnung durch Irrtum und Glauben durch Spinnerei. Wer optimistisch im Leben steht, hat die Welt nicht verstanden. Wer mit Überraschungen rechnet ist ein Tagträumer. Wer sagt, noch nicht alles erlebt zu haben, ist infantil.

In der Sonntagsausgabe der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 24. Dezember wurde unter der Rubrik „Wirtschaft“ ein ganzseitiger Artikel über Richard David Precht veröffentlicht.

Jahrgang 1964 studiert er Philosophie. Nach seiner Promotion ist er ein Jahr lang arbeitslos und hält sich dann als Journalist und Buchautor über Wasser. Mit 43 hatte er einiges gesehen und gab es keinen Grund anzunehmen, dass sich sein Leben nochmals signifikant ändern würde.

Bis er vor 10 Jahren von der Literaturkritikerin Elke Heidenreich zu einem Talkshow eingeladen wird. Sie lobt sein bis dahin unbekanntes Buch „Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“ in höchsten Tönen – und eine Lebenswendung nimmt seinen Lauf. Er wird Honorarprofessor in Lüneburg und Berlin. Er hat eine eigene Fernsehshow im ZDF. Dazu zählt er zu den gefragtesten Vortragsrednern. Er verkauft über 3.2 Millionen Bücher und wird zum Millionär.

Was bringt 2018 uns? Als sechsjähriges Kind konnten wir am Vorabend unseres Geburtstages nicht schlafen. Natürlich waren wir auf die Geschenke gespannt – aber auch auf das Gefühl, sieben zu werden. Damit verbanden wir einen erweiterten Lebensabschnitt, eine neue Erlebniswelt. Das wiederholte sich jährlich. Mit 12 dürften wir andere Filme sehen. In der Pubertät überraschte uns unser Körper. Nach Verlassen der Schule traten wir in die Infrastruktur der Ausbildung ein – oder verdienten unser erstes Geld. Bis wir irgendwann der Meinung waren, dass unser Leben eine Routine wurde und sich die Ereignisse lediglich wiederholten.

Precht verfügte sicherlich über Potenzial. Wie wir alle. Prechts eigentliche Leistung wird damit beschrieben, dass er sich 2007 nicht damit begnügt, ein einziges Mal ganz oben auf der Bestseller-Liste zu stehen. Wir können die Überraschungen des Lebens nicht forcieren. Wir können sie aber erkennen und als Sprungbrett benutzen.

Wir wissen nicht, wie 2018 für uns sein wird. Wir können aber lauern, es für möglich halten, dass Positives eintritt. Die Grundhaltung der Offenheit für Veränderung verändert – uns und möglicherweise unser Umfeld.

Wir feiern dass vor zweitausend Jahren die Menschheit überrascht wurde. Für den der keine Änderung wollte, war dieses Ereignis bedeutungslos, irritierend oder gar konfrontierend. Für andere die sich gefangen sahen in der Hoffnungslosigkeit der Monotonie wurde Weihnachten zu einem Schlüssel des Staunens. Das Fest lud ein zu einem Eintritt in eine neue, unendliche Dimension. Weihnachten wurde die Rückkehr in die Erlebniswelt des Kindes, das – laut Gaarder – nicht wusste, was auf dieser Welt möglich ist und was nicht.