Wer auf Negatives im Job fokussiert, schadet sich selbst

Das Leben ist nicht immer einfach … Darüber herrscht Einigkeit. Die Art und Weise wie wir darauf reagieren ist aber sehr unterschiedlich. Den Kopf hängen zu lassen ist zunächst bequem. Kurzfristig fordert das keine Kreativität oder Energie. Es liegt sogar eine gewisse Befriedigung im Selbstmitleid. Wenn wir Opfer sind, ist die Schuld bei anderen oder den Umständen zu suchen. Nur löst das nicht unser Problem.

Negativ denken ist ein erster Schritt. Negativ reden ist eine andere Dimension. Gedankengebilden festigen sich. Unsere Bilder setzen sich auch in den Köpfen anderer fest. Und fangen an, ein Eigenleben zu führen, außerhalb unserer Kontrolle. Nicht umsonst sagt der Talmud: Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden Worte. Achte auf Deine Worte, denn sie werden Handlungen. Achte auf Deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten. Achte auf Deine Gewohnheiten, denn sie werden Dein Charakter. Achte auf Deinen Charakter, denn es wird Dein Schicksal.

Häufig wird „Positives Denken“ als Heilmittel vermittelt. Unausgesprochen wird suggeriert, dass es ein geistiges Gesetz gibt, das „Self-Fulfilling-Prophecy“ heißt. Mit anderen Worten: Glaube nur positiv, dann wird es auch eintreffen. Diese Pseudo-Religion hält sich hartnäckig und scheint mal in Form von „Visualisieren“ oder mal in esoterischer Gestalt auf. Natürlich fühle ich mich anders, wenn ich mir nicht dauernd vorstelle, was alles Schreckliches passieren kann. Dennoch scheint es keine Grundlage dafür zu geben, dass die Ereignisse eintreten, welche ich mir sehnlich vorstelle. Ich kann mir meine Zukunft ausmalen, diese dann planen und an der Umsetzung arbeiten. Für das reine Materialisieren meiner Wunschgedanken als „unsichtbare Gesetzmäßigkeit“, die dazu vielleicht noch „funktioniert da es funktioniert“ scheint die Grundlage zu fehlen.

Gleichwohl muss uns dieses nicht in unsere Opferrolle zurückwerfen. Dazu gibt es zumindest einige schöne Geschichten, die ich auch kurz in meinem Buch „Ihr Traumjob im verdeckten Arbeitsmarkt“ anreiße:

>> Im Jahr 2000 hörte ich in einem Seminar die Geschichte von Cliff Young. Sie schien mir zu grotesk, um wahr zu sein. Zu Hause überprüfte ich sie im Internet. Jede Aussage war richtig. Ich möchte sie Ihnen nicht vorenthalten: Jährlich findet der Ultra-Marathon zwischen Sydney und Melbourne statt. Über eine Distanz von 875 Kilometer kämpfen um die 150 Athleten – im Alter bis Ende 20 – um den Sieg. Sie alle wissen: Um zu gewinnen, wird 18 Stunden gelaufen. Fünf bis sechs Stunden bleiben für Massagen und Schlaf. Das Rennen wird in sechs bis sieben Tagen ausgetragen. Im Jahr 1983 steht ein Mann, 61 Jahre, in Stiefeln und Overall bei der Gruppe von Athleten vor dem Start im Stadion. Dabei handelt es sich um Cliff Young, Kartoffelzüchter.

Es stellt sich heraus, dass er dieses Jahr teilnehmen möchte. Jährlich sieht er die Sportler an seiner Farm vorbeilaufen. Er entscheidet sich, dieses Jahr selbst teilzunehmen. Schließlich sucht er ab und an auch mal zwei Tage lang am Stück nach einem seiner Schafe, wenn es sich verlaufen hat. Er fühlt sich somit gerüstet.

Australien verfolgt den Vorgang am Bildschirm und sieht die Sportler das Stadion verlassen. Bald ist Cliff Young abgehängt. Die Meinung schwankt zwischen „Mann soll dem alten Mann seinen Traum lassen“ und „Wer hält ihn auf, damit er überlebt …?“.

Nach 18 Stunden gönnt sich die Kerntruppe den notwendigen Schlaf. Nur Cliff Young läuft weiter. Gelegentlich legt er sich kurz für ein Nickerchen aufs Ohr. Er weiß nicht um die vermeintliche Notwendigkeit von minimal fünf Stunden Schlaf pro Nacht. So holt er über die Tage den Rückstand auf – und gewinnt das Rennen mit großem Vorsprung auf die restlichen Teilnehmer. Er setzt die Bestmarke von 5 Tagen, 15 Stunden und 4 Minuten für die 875 Kilometer. Eine ungeheure Welle von Sympathie und Popularität schwappt ihm entgegen. Sein Geheimnis: Die anderen kannten den erforderlichen Rhythmus, der zum Sieg führt. Er kannte diesen nicht!

Das erinnert mich an eine Geschichte in Sofies Welt von Jostein Gaarder. Er beschreibt, wie eines Morgens Mama, Papa und der kleine Thomas, der vielleicht zwei oder drei Jahre alt ist, in der Küche am Frühstückstisch sitzen. Mama steht auf und dreht sich zum Spülbecken um, und in diesem Moment schwebt Papa plötzlich unter der Decke.

Gaarder schreibt: „Was glaubst Du, sagt Thomas dazu? Vielleicht zeigt er auf seinen Papa und sagt: ‚Papa fliegt! Sicher wäre Thomas erstaunt, aber das ist er ja sowieso. Papa macht so viele seltsame Dinge, dass ein kleiner Flug über den Frühstückstisch in seinen Augen keine große Rolle mehr spielt. In seiner Erzählung kommt dann Mama an die Reihe. Sie hat gehört, was Thomas gesagt hat, und dreht sich resolut um. Gaarder verfolgt: „Wie, glaubst Du, wird sie auf den Anblick des frei schwebenden Papas über dem Küchentisch reagieren?“ Ihr fällt sofort das Marmeladenglas aus der Hand, und sie heult vor Entsetzen auf. Vielleicht muss sie zum Arzt, nachdem Papa wieder auf seinem Stuhl sitzt.

Warum reagieren Thomas und Mama so unterschiedlich, nach Meinung von Gaarder? Es ist eine Frage der Gewöhnung. Mama hat gelernt, dass Menschen nicht fliegen können. Thomas nicht. Er ist noch immer unsicher, was auf dieser Welt möglich ist und was nicht.“

Die Schlussfolgerung von Gaarder: Wenn Kinder aufwachsen, gewöhnen sie sich an die Welt. Als Erwachsene haben wir unsere kindliche Aufnahmefähigkeit und Neugierde verloren. Wir wundern uns nicht länger. Die Welt ist uns zur Gewohnheit geworden. <<

Vielleicht fehlt uns für das negative Denken einfach die Grundlage? Wir würden die Teilnahme von Cliff Young wahrscheinlich damit assoziieren, dass er nie gewinnen könnte. Aber es muss nicht kommen, wie es den Anschein hat. Und Erfahrungen der Vergangenheit müssen sich nicht zwingend in der Gegenwart und Zukunft wiederholen.

Gaarder bedauert, dass der kleine Thomas im Laufe seines Lebens wahrscheinlich seine Neugierde und Unbefangenheit ablegen wird. Voraussichtlich wird er den Weg seiner Mutter gehen. Sie weiß, was möglich ist und was nicht. Die Welt ist ihr zur Gewohnheit geworden. „Schade“, meint Gaarder.

Ab einer gewissen Lebenserfahrung oder einem bestimmten Alter muss Kraft aufgewendet werden, damit unsere Gedanken uns nicht die gleichen Bilder vor Augen führen wie gestern und vorgestern in ähnlicher Situation. Solange wir aber die Welt nicht als selbstverständlich ansehen, gibt es auch keine zwingende Notwendigkeit negativ zu denken. Es ist eine Entscheidung. Dafür, dass die Welt heute anders ticken kann. Naiv? Cliff Young hat bewiesen, dass wir uns oft mit unseren Vorstellungen selbst festlegen. Wenn wir die Assoziationskette durchbrechen, stellen wir die Zwangsläufigkeit negativer Abläufe in Frage. Das ist keine Esoterik oder Visualisierung sondern die reine Entscheidung, dass ein positives Ereignis genauso gut möglich ist, wie ein negatives.

19.04.2015