Wie stehen meine Chancen, in dieser Zeit einen Job zu finden?

Diese Frage wird mir derzeit am häufigsten gestellt. Studenten aus MBA-Programmen wollen Antworten. Mitarbeiter die nicht unter Druck stehen, sondern freiwillig wechseln möchten, suchen nach dem richtigen Zeitpunkt. Dann gibt es noch Personen die keine Wahl haben. Das Angestelltenverhältnis wird beendet. Die Suche begann manchmal bereits vor Corona oder auch während der Pandemie.

  1. Branchen

Es ist nicht richtig, anzunehmen, dass Corona Deutschland „wirtschaftlich in eine Krise gestürzt hat“. Das möge volkswirtschaftlich zutreffen – zum Teil. Die geplanten Steuereinnahmen erweisen sich als unrealistisch. Natürlich ist Deutschland medizinisch „auf Sicht“ gefahren. Aber betriebswirtschaftlich ist es notwendig nach Unternehmen zu differenzieren:

a. Gewinner

Warum fangen wir nicht mal mit den Gewinnern an? Hunderttausende wurden in ein Home-Office „verbannt“. Vielfach fehlten die entsprechende Infrastruktur und Technik. Bekanntlich profitierten davon Unternehmen die Kommunikationssoftware angeboten haben wie ZOOM, Microsoft (Teams) oder TeamViewer. Dann war es Wochen unmöglich externe Kameras zu kaufen, Mikrofone und sonstige Hardware. Wir wissen um Lieferanten von Beatmungsgeräten wie Dräger. Der gesamte Pharmabereich schein vom Goldfieber angesteckt zu sein. Im weitesten Sinne hat der Gesundheitsbereich an sich am Anfang der Corona-Krise nach medizinischem (Intensiv) und Pflegepersonal nachgefragt.

b. Neutral

Eine große Zahl von Unternehmen ist äußerst stabil durch die Krise gekommen. Es handelt sich dabei häufig um Firmen, die langfristige Verträge mit Kunden geschlossen haben. Dazu kann die Telekommunikation gezählt werden. Privatpersonen kündigen nicht von heute auf morgen in großer Zahl ihre Mobilfunkverträge. Unternehmen wechselten noch weniger den Provider. Das gleiche gilt für viele Cloud-Anwendungen. Firmen die ihre Geschäftstätigkeit über SAP abwickeln, müssen morgen auch ihren Betrieb aufrechterhalten.

Versicherer leben ebenfalls vom Einzug der Prämien und dieses Geschäftsmodell hat wenige Rückschläge erlitten (die Frage der Übernahme von entstandenen Schäden ist natürlich noch nicht ausgestanden). Energie-Dienstleister waren von der Krise kaum berührt. Das Gleiche gilt für Behörden und staatliche Unternehmen. Ämter haben weitergearbeitet, teils mehr als vor der Pandemie. Die Bundesbahn ist weiterhin gefahren. Schulen waren gefordert (und der Lehrermangel wurde – neben einer wahrgenommenen Konzeptsuche – noch deutlicher sichtbar).

c. Verlierer

Natürlich gibt es auch die Verlierer. Von denen lesen wir täglich in den Nachrichten. Tourismus, Hotelgewerbe, Gastronomie, Einzelhandel, Veranstaltungsmanagement. Zu einem Teil kann die Automobilindustrie dazu gerechnet werden. Diese verzeichnete allerdings bereits vor Corona strukturelle Anpassungsschwierigkeiten. Sie war von Wettbewerbern umgeben, die schneller oder konsequenter die Ausrichtung auf Elektromobilität, Wasserstoff oder autonomes Fahren verfolgten. Gleichzeitig bleiben viele Mobilitätsthemen aktuell. Auch künftig werden Autos bremsen, lenken, sie haben Sitze, Dichtungen für die Fenster, werden lackiert, usw.

d. Branche-Fazit

Wer bisher Erfolge in Krisenbranchen verbucht hat, sollte schauen, welche Kompetenzen übertragbar sind. Kann Projekt-Management aus dem Automotive-Bereich in die Telekommunikation übertragen werden? Kann der Marketing-Vorstand einer Hotel-Gruppe in einen Konzern wechseln, der die digitale Präsenz ausbaut?

Im Übrigen haben aus meinem Kundenkreis mehrere Personen einen neuen Arbeitsvertrag seit April 2020 unterschrieben. Die Wechsel fanden statt in die Versicherungsbranche (Vertriebs-Controlling), Energie-Sparte (Projekt-Management), Behörden (Öffentlichkeitsarbeit) und häufiger zu teils Inhaber geführten mittelständischen Unternehmen.

  1. Funktionen

Natürlich ist es auch – im Lichte des ersten Punktes – von Bedeutung in welcher Funktion ich tätig bin oder war. Manche Positionen lassen sich leicht übertragen. Wer Leistungen im Bereich Finanzen, IT oder auch Personal unter Beweis gestellt hat, kann diese weitgehend unabhängig von einer spezifischen Branche woanders wieder neu erbringen. In abgemilderter Form gilt dieses auch für den Bereich Business-Unit Leitung, Kundendienst oder (je nach der Sichtweise des neuen Arbeitgebers) Vertrieb. Schwieriger wird es für Personen die beispielsweise in der Arzneimittelzulassung gearbeitet haben, als Trainer oder im Bereich Tourismus.

Hier soll ein Refraiming überlegt werden. Der Arzneimittel-Spezialist kann vielleicht tätig werden als Pharma-Referent, der Trainer kann Inhalte digital vermitteln und derjenige der voll auf die Kundenzufriedenheit im Tourismus ausgerichtet ist, schafft möglicherweise den Schwenk in den Vertriebsinnendienst in eine erfolgreiche Branche.

  1. Corona-Schockstarre

Die Zeit kann ein Verbündeter sein. Sie ist Feind, wenn es um das am Leben erhalten geht (Kurzarbeit) von Unternehmen die so schnell nicht wieder auf die Beine kommen. Sie ist aber Freund, wenn es um ein „Aufwachen“ und Rückkehr zur „Normalität“ geht. Wussten Personalabteilungen anfangs nicht, wie sie Bewerbungsgespräche durchführen sollten, ist das Telefon- oder Video-Konferenz Interview zur neuen Norm geworden.

Es werden alternative oder ergänzende Formen der Geschäftsstabilisierung gefunden. Der Einzelhandel eröffnet oder verstärkt – teils mit beachtlichem Erfolg – neue Online-Kanäle (z.B. Douglas). Auch wenn Einstellungsstopps oder Personalabbau gelten, haben diese manchmal lediglich eine Relevanz für gewisse Bereiche. Audi baut Personal in der Motoren-Entwicklung ab, sucht aber Mitarbeiter für die Software-Entwicklung.

Mitarbeiter wechseln weiterhin freiwillig das Unternehmen, erkranken langfristig oder gehen in den Ruhestand. Arbeitgeber können sich nicht leisten, jede Position offen zu lassen.

  1. Konjunktur ist auch Emotionalität

Personaleinstellungen sind – auch – von der Emotionalität geprägt. März und April herrschte eine Weltuntergangsstimmung vor. Die Börse fand – nach jähem Absturz – recht schnell zu alten Höhen zurück. Aber auch die Exporte zeigten im Juni und Juli eine überraschende Wende. Das Manager Magazin berichtet im August: „Die deutschen Exporte klettern im Juni so stark wie seit 30 Jahren nicht mehr, auch produziert die Industrie wieder viel mehr“. Das alles führte zu einem unerwarteten emotionalen Höhenflug wie auf der IFO Website nachzulesen ist: „Die Stimmung in den deutschen Chefetagen hat sich weiter aufgehellt. Der ifo Geschäftsklimaindex ist im Juni auf 86,2 Punkte gestiegen, nach 79,7 Punkten (saisonbereinigt korrigiert) im Mai. Dies ist der stärkste jemals gemessene Anstieg.“

Wäre Anfangs der Corona-Zeit kaum ein Unternehmen auf die Idee gekommen, Personal einzustellen, kehrt derzeit ein vorsichtiger Optimismus zurück.

  1. Sommer-Monate

In der Vor-Corona Zeit waren die Sommermonate als Bewerbungszeitraum verpönt. Entscheidungsträger befanden sich im Urlaub. Deshalb wurden auch Headhunter nicht beauftragt. Außerdem herrschte die Meinung vor, dass sich dazu passende Bewerber in den Ferien befinden würden.

Während März, April und Mai lautete die Devise: „Urlaub fällt dieses Jahr aus“. Jeder wollte die verlorene Zeit (sowie die Umsätze) nach Möglichkeit wieder wett machen. Dieses Jahr gelten die schwachen Bewerbungsmonate Juni, Juli und August nicht – so die vorherrschende Meinung.

Zur Freude der heimischen Tourismusbranche entdeckten viele dann die Nord-, Ost- und den Bodensee. Mutige planten einen Urlaub mit dem eigenen PKW in Südtirol. In kürzester Zeit – und dieses hat wesentlich zum Überleben vieler Hotels in Deutschland beigetragen – galt doch die alte Devise: Ich bin dann mal weg – aber unter anderen Vorzeichen. Garmisch-Partenkirchen statt Granada, Chiemsee statt Camargue und Borkum statt Bonaire.

Für die BewerberInnen bedeutet dieses, dass sie – wie in vergangenen Jahren – die Sommerzeit besser für Recherche und Vorbereitung perfekter Unterlagen verwenden können als für eine Bewerbungsoffensive.

  1. Qualität der Bewerbungsunterlagen

Die Bedeutung der Unterlagen war – vor Corona – quasi „im freien Fall“. So beabsichtigte die Deutsche Bahn im Jahr 2020 20.000 neue Mitarbeiter einzustellen. Ein Anschreiben galt als „unzumutbar“. Daher reichte der Lebenslauf.

Es war ohnehin eine Diskussion im Gange, ob auch der Werdegang noch im Klassischen Sinne dokumentiert werden sollte. „Ende des Lebenslaufs“ lautetet die Devise. Nach dem Motto: „Der Arbeitgeber soll sich freuen, wenn er überhaupt noch Personal findet – da brauche ich mich nicht zu bemühen“. Ein Profil bei XING oder LinkedIn sollte reichen, Arbeitgeber auf die persönliche Qualifikation aufmerksam zu machen. In der Tat war die Sorge, noch qualifizierte Mitarbeiter zu finden, das Anliegen Nummer eins bei den Arbeitgebern.

Die Kehrseite der Medaille: Nur 10 Prozent der Bewerbungen galten als verwertbar. Die Standardisierung führte zu einer Flut von unbrauchbaren Unterlagen, die – mitunter – dazu führte, dass viele Arbeitgeber in den verdeckten Arbeitsmarkt geflüchtet sind.

Fazit: Die Qualität der Bewerbung gewinnt neu an Aktualität. Wer sich bewirbt, sollte schauen, dass Kompetenzen und Erfolge sichtbar werden. Die Unterlagen sollten so kurz wie möglich und ausführlich wie notwendig sein. Dabei soll nicht nur der Inhalt sondern auch die Optik (oder gar die Haptik) überzeugen.

  1. Demographie

Auch wenn es sich fast zynisch anhören möge: Der größte Unterstützer der Bewerber ist die Demographie. Die brachialen Konsequenzen mögen gelegentlich (natürlich auch in Corona) aus dem Auge verloren werden. Die Realität meldet sich aber immer wieder rasch! Im Großen Ganzen wechseln über eine Million Erwerbstätige 2020 in den Ruhestand. Es betreten 600.000 bis 700.000 neue Arbeitnehmer den Arbeitsmarkt. Die Schere geht immer weiter auseinander und bald gehen zwei Personen in den Ruhestand und werden von einem Neu-Zugang ersetzt.

Zusammenfassung. Was bedeutet das alles? Bewerber sollen die Branchen berücksichtigen in denen sie tätig sein wollen. Ggf. sollte – nach Möglichkeit – eine Anpassung bei Branche und Funktion vorgenommen werden.

Der Optimismus kehrt zurück und Arbeitgeber sind wieder eher bereit, Personal einzustellen.

Da der extreme Wandel vom Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt durch Corona durchbrochen wurde, gewinnen alte Rituale erneut an Bedeutung. Dazu zählt an erste Stelle die Ausarbeitung einer qualitativ hochwertigen Bewerbung.

In allem soll berücksichtigt werden, dass Sommerurlaub stattfindet – sei es anders als in der Vergangenheit. Bewerbungsbemühungen sollten somit (mit Ausnahme der Reaktion auf ausgeschriebene Stellen) bis nach dem Sommer zurückgestellt werden.

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