Heute feiern viele auf der Welt den Anfang des Pessach-Festes. Es wird der Auszug der Israeliten aus der Ägyptischen Sklaverei zelebriert. Nach gut 400 Jahren steht ein Leiter, Mose, auf und führt zwei bis drei Millionen Menschen in eine unsichere Zukunft. Der Weg dorthin gibt wenig Anlass zur Entspannung. Logistische Fragen stellen sich, denn wie soll ein Volk in der Wüste versorgt werden? Daher dauert es auch nicht lange und Kritik wird hörbar. Die Führungskompetenz des Leitungsteams wird in Frage gestellt. Es werden Stimmen laut, die Mose und Aaron steinigen wollen.
Kein zurück
Mit jedem Tag weiter in der Wüste wird auch die Unumkehrbarkeit der Aktion offensichtlicher. „Wären wir nur in Ägypten geblieben“ wird aufgezeichnet, „dort hatten wir Fleischtöpfe“. Gerade am heutigen Tag drängt sich mir eine Vergleichbarkeit mit unserem heutigen Erleben auf. Für die Israeliten war klar, dass es keinen Weg zurück gab. Allerdings war überhaupt nicht deutlich, wohin die Reise führen sollte. Es war die Rede von einem Land „überfließend von Milch und Honig“. Aber die Beschaffenheit der Anbaugebiete, die Anzahl und Haltung der Einwohner sowie die Strategien zur Erreichung der Ziele waren völlig unbekannt. Daher wurden Kundschafter ausgesendet, die das Bild schärfen sollten.
Die Konturen von Gestern verwischen sich
Je weiter wir uns heute vom „Gestern“ wegbewegen, desto mehr verwischen sich die Konturen. Wir adoptieren neue Gewohnheiten und es ist fraglich, ob wir uns überhaupt das Gestern noch in der gleichen Form zurückwünschen? Die Zukunft wird zeigen, ob es beispielsweise noch Billigflieger gibt. Und wenn ja, ob wir so schnell wieder einsteigen werden? Es ist nicht gesagt, dass sich die Kreuzfahrtschiffe sofort wieder füllen? Vielleicht findet eine Abkehr vom Pauschaltourismus statt. Möglicherweise wird das Individualreisen wieder hoch im Kurs stehen. Und wenn Fernweh, dann vielleicht als Luxus-Veranstaltung mit ausreichend Zwischenabstand zu den Nachbarn. Werden wir wieder ins Kino gehen? Wenn ja, hat es noch die gleich Form wie gestern? Werden wir erneut in der gleichen Weise konsumieren, während wir festgestellt haben, dass es auch mit weniger oder gar ohne geht?
Neue Gewohnheiten
Während der Wüstenwanderung hat das Volk Israel neue Gewohnheiten angenommen. Statt Fleischtöpfe gab es Manna. Statt einer täglichen Berechenbarkeit (wenn auch unter fremder Herrschaft) gab es nun eine Abhängigkeit von einer Wolke die richtungweisend war. Diese ließ sich allerdings auch für Tage oder gar Wochen nieder. Zeiträume an denen ein totaler Stillstand verzeichnet wurde. Shutdown!
Je länger unser letzter Besuch beim Italiener zurückliegt, umso mehr gewöhnen wir uns daran, dass das Leben auch anders gelebt werden kann. Da wir uns nicht mit den Kollegen treffen können, stellen wir fest, wie wir digital arbeiten können. Nachdem das Sport-Studio geschlossen hat, machen wir die eigenen Workouts. Wir kaufen vielleicht ein neues Fahrrad, eine neue Bratpfanne und belegen Online einen Kochkurs.
Auch wenn wir uns nicht bewusst verwandeln wollen, werden wir verwandelt
Je weiter wir uns während unserer Wüstenwanderung fortbewegen, umso weiter weg sind unsere frühere Gewiss- und Sicherheiten. Auch wenn wir uns nicht bewusst entschieden haben, dass wir uns verwandeln wollen, werden wir verändert. In gewisser Weise befinden wir uns in einem Vakuum. Manche meinen oder hoffen, dass wir uns „bald“ wieder im Gestern bewegen werden. Andere zweifeln das Word „bald“ an. Wenn bestimmte Maßnahmen bis Ende 2020 oder vielleicht (wie mir heute angetragen wurde) bis Mitte 2021 aufrecht erhalten werden, hat sich bei uns in der Zwischenzeit ein anderes Leben eingeschlichen.
Drei Phasen
Wenige die den Auszug aus Ägypten erlebten, haben die Vollendung im verheißenen Land sehen können. Diese allerdings haben drei Phasen beobachtet: Zunächst die lange Zeit unter fremden Herrschaft mit einer vermeintlichen Sicherheit, Rhythmen und vielen Kompromissen. Dann die lange Zeit in der Wüste in der das Alte zwar physisch unerreichbar geworden war, jedoch die Gedanken und das Verhalten noch prägte. Schließlich habe einige den Einzug in dieses Land, fließend von Milch und Honig erlebt in dem ein Neu-Anfang angesagt war.
In dieser Karwoche sind wir vielleicht schon länger unterwegs in dem Zwischenraum zwischen Alt und Neu als wir meinen. Wir sind vielleicht mehr verwandelt als uns bewusst ist. Es macht möglicherweise Sinn, uns von alten Bildern, Gewohnheiten, Wünschen zu verabschieden, da sie in dieser Form nicht wiederkehren. Freunden wir uns an mit dem was wir geworden sind. Wir sprachen von einer VUCA-Welt, volatil, unsicher, komplex und mehrdeutig. Wir konnten nicht ahnen wie sehr die wahre Gestalt dieser VUCA-Welt unsere Vorstellungen übertreffen würde.